Dr. Karin Wehn, Universität Leipzig
(Fast nur) Trash, Tierquälerei und Blasphemie: Renaissance des animierten Kurzfilms auf Entertainment-Portalen im WWW
Inhaltsverzeichnis
Die Anfänge von Animation im Internet
Animation im Netz versus Netzanimation
Ausstrahlungsorte für Animation im Internet
Der visuelle Stil von Animation im Internet
Einführung
Menschen sind von Bewegung und ihrer medialen Konservierung fasziniert. Davon zeugen eine Reihe an Experimenten schon vor der Erfindung des Films: Edweard Muybridge hielt in der zweiten Hälfte des 19. Jh. z. B. den Sprung eines Pferdes über eine Latte mit zwölf, wie fallenden Dominosteinen hintereinander geschalteten Einzelkameras fest (Thurman/David 1978:75). Wir alle kennen Daumenkinos. Außerdem gibt es kuriose Erfindungen mit noch kurioseren Namen wie das Traumatrope (1831), eine Scheibe mit zwei komplementären Bildern auf jeder Seite, die bei Drehung der Scheibe zu einem verschmelzen, oder das Phänakitiskop, welches aus einem Bildfenster und einer rotierenden Scheibe besteht. Alle diese optischen Spielzeuge beruhen auf der von dem Physiologen Peter Mark Roget 1824 entdeckten Illusion eines kontinuierlichen Bewegungsablaufs, wenn statische Bilder hintereinander geschaltet werden (Persistence of Vision With Regard To Moving Objects).
Kurz vor Ende des 19. Jh. begeisterten die Einfahrt eines Zuges in einem der ersten Filme der Gebrüder Lumière die Zuschauer so sehr, so dass sie, wenn man dem populären Mythos glaubt, sich hinter den Stühlen versteckten, aus Angst der Zug rase in sie hinein. Der Animationsfilm ist so alt wie der Realfilm selbst und hat immer neben ihm Bestand gehabt. George Méliès perfektionierte sein wichtigster Prinzip bereits in den ersten Jahren des noch jungen 20. Jh.: den Stop-Trick, das Anhalten der Kamera und die Veränderung der Mise-En-Scene, bevor weitergedreht wird. Sämtliche, noch so unterschiedlichen Stile des Animationsfilms, sei es Zeichentrick, Puppentrick oder das Kratzen auf Film, um nur die populärsten zu nennen, basieren auf diesem einfachen Prinzip.
"I will praise animation, a pure work of the spirit", so formulierte es der berühmte Animationsfilmemacher Alexandre Alexeieff, Paris 1973. Für manche ist der Animationsfilm dem Realfilm überlegen, da die Welt, in der er spielt, anders als beim Realfilm komplett und ausschließlich in der Phantasie seines Produzenten entsteht. Für andere hingegen ist Animation keine ernstzunehmende Kunst, sondern billiger, gewalttätiger Kinderkram. Für jene ist Animation genauso verabscheuungswürdig wie der Comic, mit dem der Animationsfilm viele Gemeinsamkeiten teilt. Viele denken, dass komische Kunst oder Popular Culture nicht den Status von ernsthafter Kunst verdient. Dabei hat häufig gerade das scheinbar Harmlose einen sehr viel radikaleren Subtext.
Seit Anfang der 90er Jahre hat Animation neue und begehrte Zielgruppen erschlossen, zum einen durch (1) an ein erwachsenes und gebildetes Publikum gerichtete Zeichentrickserien wie die Simpsons, die einen neuen Trend an sozialkritischen Zeichentrickserien begründeten, durch (2) die spezifische visuelle Ästhetik des Jugendmusiksenders MTV, der sowohl in seinen Musikvideos, den Elementen seines Sender-Designs als auch den Eigenproduktionen Animationen einen hohen Stellenwert einräumte (Beavis & Butthead, Daria, Celebrity Deathmatch) oder durch immer perfekter und realistischer anmutende Computeranimationen bei High-End-Kinofilmen wie z. B. Jurassic Parc, The Matrix, Toy Story (I+II) und Dinosaurs. Seit Mitte der 90er Jahre erobert sich Animation auch einen Platz im Internet. Besonders seit der zweiten Jahreshälfte 1999 ist ein kometenhafter Aufstieg von vor allem US-amerikanischen Online-Kinos, Entertainment-Portalen etc. zu beobachten, über den ein umfassender Überblick von einer Einzelperson nicht mehr zu leisten ist.
Eine Sondierung dieses Feldes, aber auch die sich bereits abzeichnende Marktbereinigung und Sättigung sind Ziel meiner Ausführungen, die zum momentanen Zeitpunkt wie viele Webpages nicht viel mehr als eine ‚Baustelle' sein können. Dafür wird kurz die Entstehung von Animation im Netz beleuchtet, es werden einige technische Aspekte angerissen sowie anhand einiger typischer Vertreter die Präsentation von Webtoons, ästhetische Stilmittel und typische Genres beschrieben.
Die Anfänge von Animation im Internet
Eigentlich war das Netz der Netze, das Internet, schon zu Zeiten des begrenzten Inventars der 256 Zeichen des ASCII-Codes ein visuelles Medium: Bereits in den ersten gut 20 Jahren, in denen das Internet eine Nischenexistenz für Militärexperten, Informatiker und Hacker fristete, begannen die damaligen User damit, ihre Emails durch Emoticons zu verzieren, kreierten mit sorgfältig angeordneten Buchstabensalat ASCII-Art oder erschufen in Gemeinschaftsarbeit vor monochromen Bildschirmen sogar textbasierte imaginäre räumliche Welten (Muds = Multi-User-Dungeons). Dennoch verschaffte erst das World Wide Web dem Internet Anfang der 90er Jahre Massenpopularität.
Das geschah zum einen durch Tim Berners Lee's Errungenschaft, Dokumente und Dokumentbestandteile, die auf einem oder verschiedenen Rechnern liegen, durch sogenannte Hyperlinks nicht-linear und direkt miteinander zu verknüpfen, zum anderen durch die 1993 durch den ersten grafischen Browser Mosaic (später Netscape) möglich gewordene Multimedialität, d. h. das beliebige Verknüpfen von Textdaten, visuellen Daten, Audiodaten usw. und die benutzerfreundliche Bedienung. Ungefähr zeitgleich, ebenfalls Anfang bis Mitte der 90er Jahre, verwandelten sich die monochromen Monitore gewöhnlicher User allmählich von stumpfen gelb, grün, bernsteinfarben hin zu papageienbunten, dem Fernseher in Größe und Qualität der Auflösung immer ähnlicher werdenden Großbildschirmen.
Nichtsdestotrotz blieb bis Mitte der 90er Jahre das WWW ein zwar zunehmend visuelles, aber statisches Medium. Im Rahmen einiger HTML-Erweiterungen wurde der Blink-Tag eingeführt, der es (zumindest im Netscape Navigator) möglich machte, Textbestandteile blinken zu lassen.
Eine Erneuerung des GIF-Formats (Grafics Interchange Format) in das GIF 89a-Format ermöglichte einfache Animationen. Gif-Animationen können mindestens zwei, bis hin zu beliebig vielen im GIF-Format abgespeicherte Einzelbilder in eine Datei einbetten, die dann nach dem Daumenkinoprinzip in einer vom Autor festgelegten zeitlichen Abfolge hintereinander geschaltet und ggf. beliebig häufig in Schleifen wiederholt werden, entweder als eine durchgehende Bewegung oder als Diashow-Effekt.
Als Folge davon liefen, sprangen oder tanzten eine Vielzahl von GIF-Animationen auf und über Webseiten, je nachdem, mehr oder weniger den Inhalt der Seiten unterstützend, entweder liebevoll selbst gemacht oder durch Klick auf die rechte Maustaste geschickt geklaut. Nachteile von GIF-Animationen sind der hohe Speicherbedarf, da jedes Bild komplett einzeln gespeichert wird, wodurch sie beim Betrachten häufig ruckelig erscheinen. GIF-Animationen sind per se stumm und erlauben keine Interaktivität. Um dem entgegenzuwirken, waren viele GIF-Animationen winzig und ihre narrativen Möglichkeiten, wie sich unschwer erkennen lässt, begrenzt.
Die Crux bei der Präsentation von bewegten Bilder im Internet sind die Übertragungstechniken, die hinsichtlich ihrer Bandbreite unterschieden werden können. Die Bandbreite beschreibt die Menge an Informationen, die pro Sekunde durch ein Netzwerk in einen Computer übertragen werden können. Je geringer die Bandbreite ist, desto länger dauert es, bis die Daten aus dem Internet dorthin gelangen (Wolter 2001:25). Viele Internet-User wählen sich gegenwärtig noch mittels eines 28 oder 56 KB-Modems ins Internet ein, ISDN und das im Vergleich zu ISDN bis zu zwölf mal schnellere DSL sind noch kein Standard. Bilddaten sind sehr speicherintensiv. Dieses Problem potenziert sich noch bei bewegten Bildern. Konkret bedeutet das, dass bspw. eine Realfilmsequenz bei Benutzung eines 56 KB-Modems lediglich in Briefmarkengröße ruckelfrei übertragen werden kann. Zusätzlich kommt hinzu, dass bei starkem Verkehr am Internet-Zugriffspunkt oder beim Internet-Host, oder wenn das Netzwerk überlastet ist, die Rate auf mitunter bis zu wenige 100 Bytes pro Sekunde abfällt.
Inhalt |
14 400 Bps |
28 800 Bps |
64 Kbps |
1,5 Mbps |
Kleine Grafiken und Animation, 30 Kb |
30 Sek. |
10 Sek. |
6 Sek. |
1 Sek. |
Ein kleiner vollständiger Film 100 – 200 Kb |
100 – 200 Sek. |
50 – 100 Sek. |
20 – 40 Sek. |
1 Sek. |
500 Kb |
500 Sek. |
120 – 240 Sek. |
90 Sek. |
3 Sek. |
1 Mb Film |
- |
- |
180 Sek. |
6 Sek. |
Quelle: Kübler 1999:168
Für den Durchbruch von Animation im Internet sorgte vor allem die kostengünstige, relativ bedienungsfreundliche, vektorbasierte Animationssoftware Flash von Macromedia, gegenwärtig Version 5. Anders als bei pixelorientierten Zeichenprogrammen wie z. B Photoshop generiert bei vektororientierten Zeichenprogrammen der Computer ein Objekt aus mathematischen Daten.
Das hat eine Reihe an Vorteilen: Vektorbasierte Bilder sind in der Regel viel speicherärmer als pixelorientierte Bilder, da nicht jeder Pixel einzeln definiert wird. (Wolter 1999:25) Vektorgrafiken sind auflösungsunabhängig und können in jeder Vergrößerungsstufe verlustfrei dargestellt werden. Bei pixelorientierten Bilden ist das anders: Wenn eine Bitmap vergrößert wird, wird sie immer körniger, da auch die einzelnen Pixel größer werden. Die gezeichneten oder über Koordinaten erstellten Objekte können so leicht bewegt oder in ihrer Größe verändert werden. Da sie in einer Bibliothek abgespeichert werden, kann das Material später erneut verwendet werden (Re-Usability). Der wesentliche Vorteil ist, dass Flash qualitativ hochwertige Animationen auch bei niedriger Bandbreite wie z. B. einem 56 KB-Modem liefert.
Flash arbeitet mit dem Layer-Prinzip, das durch übereinanderliegende, getrennt zu bearbeitende Ebenen erlaubt, nur diejenigen Ebenen zu modifizieren, bei denen sich etwas ändert. Mit Flash ist es möglich, Einzelbild für Einzelbild (Frame by Frame) zu animieren, aber es lassen sich auch die Zwischenbilder zwischen den sogenannten Key-Frames von der Software errechnen (Tweening). Außerdem erlaubt Flash einen Soundtrack und Interaktivität. Wenn fertiggestellt, sind die komprimierten und gepackten Flashanimationen von ihrer Datenmenge her klein. Dass die Daten nachträglich nicht mehr bearbeitet werden können, ist ein Schutz für Flash-Produktionen. Die Popularität von Flash zeigt sich auch daran, dass das zum Schauen von Flash-Animationen notwendige Plug-In von mehr als 363 Millionen Usern heruntergeladen wurde. Nach Angabe von Macromedia haben 97,6 Prozent User weltweit Flash auf ihren Rechnern installiert (Macromedia, Stand 15.08.01).
Neben Flash sind noch weitere Player und Plug-Ins für Animationen im Internet wichtig: Der Shockwave-Player, für aufwendige Animationen und 3D, Pulse für 3D sowie das Quick-Time-Plug-In, der Windows Media Player und der Real Player. Die letzten drei eignen sich besonders gut für die Komprimierung von Realfilmmaterial oder Animationen, die ursprünglich für Film oder Fernsehen produziert worden waren.
Wichtig im Zusammenhang mit Downloads ist das Streaming, eine Technologie, die es erlaubt, Film- oder Audiodaten bereits zu rezipieren, während sie noch in den Cache (Arbeitsspeicher) des empfangenden Computers heruntergeladen werden (Puffern). Die Übertragungsrate wird an die zur Verfügung stehende Bandbreite angepasst. Die Streaming-Technologie, unterstützt von Quicktime, RealAudio/RealVideo oder auch von Flash, erspart Usern lange Wartezeiten.
Aufgrund der geringeren Farbenvielfalt und der Großflächigkeit sind die zu übertragenden Datenmengen bei animierten Filmsequenzen viel kleiner als bei Realfilm, was auch zur gegenwärtigen Popularität von Animation im Netz beiträgt. Das Entertainment-Portal Atomfilms, das Kurzfilme verschiedenster Stile (Realfilm und Animation) präsentiert, verzeichnet z. B. mehr als 100.000 Viewings am Tag, 35.000 davon, also mehr als ein Drittel, entfallen auf Flash-Animationen. (Clarkson 2001:IX).
Animation im Netz versus Netzanimation
Animationen im Internet können zunächst analog zur Unterscheidung Literatur im Netz/Netzliteratur danach unterschieden werden, ob sie (1) ursprünglich für ein anderes Medium als das Internet produziert wurden und erst nachträglich im Internet ausgestrahlt werden (Animation im Netz) oder ob sie direkt für das WWW produziert wurden (Netzanimation). Zuerst zu Animation im Netz: Beim bereits erwähnten Atomfilms laufen z. B. zahlreiche häufig experimentelle Kurzfilme wie Oscar-Preisträger The Periwig Maker, Creature Comforts von Aardman oder Bill Plymptons Animationsfilme, die sonst lediglich bei Filmfestivals ein begrenztes und exklusives Publikum finden. Museen konservieren traditionelle Animationen: Die Library of Congress in Washington hat z. B. eine Sammlung von Animationen aus den 20er Jahren zum Herunterladen, ähnlich auch das National Film Board of Canada (NFBC).
Was Netzanimation angeht, gibt es eine unüberschaubare Vielzahl an Bewegtem: Neben mit Flash produzierten fiktionalen Webtoons, Sammlungen animierter Bildschirmschoner, Online-Spielen, nach Themen geordneten Gruß- und Glückwunschkarten, gibt es mittels Java-Script animierte ASCII-Animationen, aber auch nur wenige KB große, von Informatikern und Hobbyhackern produzierte, sogenannte Demos, die von uneingeweihten nicht gefunden werden, die aber zum Abspielen hohe Hardwareleistungen und eine ähnliche Rechnerkonfiguration von den empfangenden Rechnern voraussetzen, da die Animation dort erst zusammengesetzt wird. Für Chats können sich die User animierter 3D-Avatare bedienen. Webseiten von Unternehmen, Navigationen werden immer häufiger nicht mehr mit HTML, sondern mit Flash gestaltet. Vor allem gibt es aber auch eine Fülle an Kurzfilmen und Serien usw., die originär fürs Internet produziert worden sind. Ein grober Überblick über diese wird im folgenden versucht.
Selbstverständlich gibt es Mischformen zwischen Animation im Netz und Netzanimation, so z. B. das Bird Game, ein gezeichnetes Spiel auf der Materialbasis eines Fernsehwerbespots, das die Seiten von Comteq einem größeren Publikum nahebrachte oder recycelte Hanna-Barbera-Shorts aus den 60er Jahren (Die Flintstones, Bugs Bunny, Saturday Night Fred), die, für die Web-Ausstrahlung mit Interaktivität angereichert, auf den Seiten des Online-Auftritts des Kabelkanals Cartoon Network ausgestrahlt werden.
Ausstrahlungsorte für Animation im Internet
Animationen werden hauptsächlich auf Portalen ausgestrahlt. Unter Portalen versteht man Webseiten, die als Einstieg für Surfer dienen, oder die über so hohe Zugriffszahlen verfügen, dass auch andere Anbieter, wie z. B. werbungtreibende Unternehmen, dort ihre Online-Inhalte präsentieren wollen. Es ist zu unterscheiden zwischen (a) horizontalen Portalen wie etwa Netscape, die eine Vielzahl von allgemeinen Diensten und Leistungen integrieren (z. B. Produktinformationen, Downloads, Nachrichten, Wetter, Suchmaschine, Email-Service usw., und (b) zwischen vertikalen Portalen, die nicht ein breites Spektrum unterschiedlicher Dienste anbieten, sondern sich primär auf ein bestimmtes Thema oder spezielle Interessen konzentrieren, z. B. die Entertainment-Portale Atomfilms oder Ifilms. TV-Animationskanäle wie Nickolodeon, Cartoon Channel, Locomotive Channel oder der auf weibliche Zuschauer ausgerichtete Kanal Oxygen. Shockwave, das Entertainment-Portal vom Macromedia-Hersteller Flash illustriert die Möglichkeiten der Software. Aber auch Animationsfirmen, wie z. B. Wildbrain, Spumco, Media Trip oder Mondomedia, zeigen ihre Kompetenz in digitalen Showcases.
Neben Portalen möbeln Anbieter, die trockene und langweilige Inhalte anbieten, z. B. Banken, Computerfirmen, ihre Seiten durch animierten Content auf, z. B. VW durch syndizierten Content von Atomfilms oder das bereits erwähnte Comteq.
Auf der im Rahmen eines Seminars entstandenen Webseite Animation im Internet, versuchen wir, die Vielfalt der Animationen im Internet zusammenzutragen, durch kürzere und ausführlichere Kommentare zu erfassen und Kriterien dafür aufzustellen, wie man solche im Netz ausgestellten Animationen analysiert. Insgesamt haben unsere Recherchen bislang mehr als 300 größtenteils US-amerikanischer Seiten ergeben, von denen die größeren mehrere Hundert Animationen ausstrahlen. Online-Kinos und Entertainment-Portale (111), Seiten für Kinder (12), Online-Auftritte von TV-Animationskanälen (17), Software- und Produktionsfirmen für Webanimation (53), einzelne Künstler (39), um nur die wichtigsten Kategorien zu nennen. (Stand: 15.08.01).
Neben der ‚Masse' an Animationen bestehen Schwierigkeiten darin, dass sich die Quellenlage ständig verändert durch das Hinzukommen oder den Wegfall einzelner Seiten. Ob sich neue Medien durchsetzen, hängen letztendlich davon ab, ob sie marktfähig sind (Schmidt/Zurstiege 2000). Die weltweite Dotcom-Krise des letzten Jahres ging auch an den Animationsportalen nicht vorbei: Es gab Massenentlassungen (iFilm); einige großangekündigte Projekte gingen nie an den Start (Pop.com), eine Reihe an vielversprechenden und durch zahlreiche Stars und Celebrities abgesicherten Portalen (Dotcomics, Icebox.com, Stanlee.com, zthing.com) meldeten Konkurs an. Ursache war meistens, dass die Business-Modelle nicht ausgereift waren.
Da manche Animationen geschützt sind gegen Download, sind sie, wenn ihre Seiten nicht mehr existieren, nicht mehr verfügbar. Aber selbst durch die (all-)tägliche Aktualisierung einzelner Portale und Seiten und das kurzzeitige Ausstellen von Specials entzieht sich der Gegenstand und ist nicht mehr als abgeschlossenes Werk konservierbar.
Schließlich unterliegen auch die medialen und technischen Voraussetzungen einem ständigen Wandel, hier insbesondere die Bandbreiten sowie die zur Produktion und Rezeption benötigte Software.
Um die Spezifik der Ausstrahlung einer Internet-Animation im Unterschied zu Kino und Fernsehen beurteilen zu können, ist es notwendig, genauer zu betrachten, in welchem Umfeld die Animationen gezeigt werden. Dabei bezieht sich Umfeld sowohl auf die Elemente, die während des Abspielens einer Internet-Animation auf dem Bildschirm zu sehen sind (synchron) als auch auf die Abfolge einzelner Elemente bei der Ausstrahlung (diachron), das, was vorher und nachher zu sehen ist.
Wird ein (Animations-)Film im Kino gezeigt, wird die ganze Leinwand ausgefüllt. Ähnlich ist es im Fernsehen, wo auch der ganze Bildschirm ausgefüllt wird, obwohl dort Aufweichungen zu beobachten sind. Im WWW ist die Aufteilung des Bildschirms weniger festgelegt und wird sowohl bestimmt von den Überlegungen der Produzenten wie auch den individuellen Präferenzen und Einstellungen der User.
Zunächst wird der Bildschirm an allen Seiten beschnitten durch die Navigationsleisten des verwendeten Browsers. (Bei einigen Animationen ist es möglich, in den Vollbildmodus zu schalten).
Abgesehen davon, ist es möglich, während der Ausstrahlung einer Animation im WWW eine Reihe an zusätzlichen Informationen zu zeigen. Es kann unterschieden werden in a) direkt sichtbaren Content (z. B. eine Kurzbiografie des Schöpfers oder eine Synopsis des Films) und b) indirekten Content, der – repräsentiert durch textbasierte oder grafische Hyperlinks – sich erst einen Mausklick weiter befindet. Solche Elemente sind etwa ein Logo des Webauftritts, bei dem die Animation läuft; Navigationselemente des Webauftritts (z. B. Links zu weiteren Animationen); Werbung (statische oder wechselnde Banner); Infos zum Autor (Herkunft, Kurzbio) oder zum Produktionsprozess (verwendete Software, Inspiration); ein Button mit der Option, die Animation per Mail an Freunde zu verschicken; Downloads, Gästebuch, Fan-Club, ein Newsletter oder die Ratings und Kritiken anderer User zu diesem Film.
Besondere Bedeutung kommt in dem Fall die Startseite sowohl des einzelnen Internet-Auftritts wie auch der einzelnen Serie zu, da sie die Eingangspforte in die fiktionale Welt bietet. Sie muss dem ungeduldigen User entweder einen Anreiz (durch überrraschende Elemente, durch Rätsel, durch Trailer) oder eine klare Struktur zu bieten. Hier deutet sich ein Trend zu interaktiven Welten und Umgebungen an.
Das diachrone Umfeld bezieht sich auf den zeitlichen Ablauf, in den eine Animation eingebettet ist. Im Kino läuft ein Film oder ein Filmprogramm zu einer festen Uhrzeit. Zuvor gibt es Werbung und Trailer. Im Fernsehen sind Sendungen in ein programmliches Umfeld eingebunden. Im Unterschied dazu werden Kurzfilme und Serien im Internet in der Regel On-Demand ausgestrahlt. Relikte an den Programmcharakter des Fernsehens sind darin zu erkennen, dass Serien als Präsentationsform sehr prominent sind, dass neue Episoden in festen oder unregelmäßigen Abständen hinzukommen und, wie im Fernsehen, durch Ankündigungen oder Trailer auf der Startseite promotet werden.
© Shockwave
Ein idealtypischer Ablauf einer Webanimation sieht folgendermaßen aus: Von der Startseite des Webangebots navigiert sich der User über Icons oder textbasierte Links bis zu dem Filmtitel bzw. zur Startseite von der Serie, den/die er sehen will. Umfangreiche Entertainment-Portale wie Atomfilms oder Shockwave haben verschiedene Zugriffsmöglichkeiten über Kanäle, Hitlisten der User, neue Angebote, Themen oder eine Suchmaschine.
Startseiten von Webauftritten oder auch von einzelnen Serien arbeiten häufig mit großflächigen visuellen oder sogar animierten Metaphern: Ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer mit einem Fernseher und anderen Gegenständen (z. B. bei Stainboy), eine Waschmaschine (z. B. bei Braincel), ein Fernsehstudio (Jab TV), eine futuristische Stadt, deren Leben sich verändert (Canal A), wenn man mit der Maus über die schriftlichen Links klickt, oder eine futuristische Fantasiemaschine (z. B. bei Flash Hog). Von der Serienstartseite klickt er sich bis zu der Episode durch, die er sehen will. Je nach Inhalt erscheint als erstes eine (häufig ironisch gemeinte) Warnung vor sexuell expliziten oder gewalttätigen Inhalten (mature content). Dann folgt manchmal – wie im Fernsehen - ein Sponsoring, d.h. ein einmaliger kurzer Werbespot. Daran schließt sich der Vorspann an, der mit Titelmusik und Credits den Konventionen aus Film und Fernsehen entspricht. Dann folgt meistens, insbesondere bei größeren Animationen, ein sogenannter Preloader. Es handelt sich hierbei um (von der Dateigröße her) kleine Animationen, die der eigentlichen Animation vorgeschaltet sind, während diese gestreamt oder heruntergeladen werden. Diesen kommt die wichtige Funktion zu, die User während des Download-Vorganges zu beschäftigen oder von diesem abzulenken, da die Geduld der User, auf einer Seite zu verweilen, auf der nichts passiert, sehr gering ist. Hier gibt es zahllose Variationen eines blinkenden Schriftzugs "Loading" über die sinnvollere Variante eines sich verändernden Balkens, der den Ladefortschritt oder ggf. sogar die gerade verfügbare Bandbreite anzeigt. Ansonsten ist es bei größeren Animationen eine gute Strategie, Spiele, z. B. ein einfaches 'Ballerspiel', ein Quiz, ein Memory vorzuschalten. Diese sind vom Thema, Design, Figuren usw. häufig schon an die Serie angelehnt. Dann folgt die eigentliche Animation. Es gibt episodische Serien, Serien mit unabgeschlossenen Folgen, die mit Cliffhangern enden oder Formate, die sich jeder systematischen Beschreibung entziehen.
Nach deren Ende scheint ein längerer Abspann (ähnlich wie neuerdings im Fernsehen) nicht üblich zu sein. Häufig wird noch mal der Schöpfer der Animation mit einem Copyright-Verweis erwähnt oder es gibt einen Button, der es ermöglicht, die Animation zu wiederholen (Play again?).
Die einzelnen Folgen können in der Regel durchnumeriert von eins bis x per View-on-Demand abgerufen werden. Neue Episoden kommen meistens in regelmäßigen täglichen oder wöchentlichen Abständen oder in unregelmäßigen Abständen hinzu, werden angekündigt.
Der Zwang zur Minimierung der Dateien fördert die Herausbildung einer spezifischen Ästhetik bei Webtoons. Angesichts der technischen und softwarebedingten Restriktionen dominiert speicherarmer Zeichentrick im Limited Animation Style und Collagen aus minimal bewegten, quasi "wackelnden" Fotos und Animationsfilm. Da fast alle Webtoons gezeichnet sind, gibt es deutliche Anleihen an Comics. Während computeranimierte Kinofilme gerade vom "spectacle" leben, und jeder neue Film bemüht ist, einen neuen Meilenstein mit neuen, bis dahin unbekannten Special Effects hinzulegen, ist das bei Animation im Internet zur Zeit aus technischen Gründen gar nicht möglich.
Die Euphorie, die viele Animationsfirmen dem Internet entgegenbringen, begründet sich zum einen darauf, dass die Projekt-Entwicklung für das WWW wesentlich kostengünstiger und schneller als z. B. für die traditionellen Medien wie Fernsehen oder Film ist. Olivier Janin, einer der Schöpfer des französischen Online-Spiels Banja, hebt als Vorteil hervor, dass man morgens eine Idee haben könne, von der nachmittags bereits erste Resultate zu sehen seien. Die schnellere Produktionsweise ist eng mit den eben beschriebenen technischen Restriktionen verknüpft: (1) Um die Dateien kleinzuhalten, werden für einen Webtoon nur zehn - 15 Bilder pro Sekunde gezeichnet (im Vergleich dazu: für Animation für Fernsehen 25 Bilder oder Film 24 Bilder). (2) Damit der Download nicht zu lange dauert, sind Webtoons in der Regel nicht länger als fünf Minuten. (3) Das Bildformat ist wesentlich kleiner als bei Fernsehen oder Film. Dadurch können Internet-Projekte mit sehr viel geringerem personellen Aufwand als TV-Kino-Produktionen durchgeführt werden (teils von Einzelpersonen). Daher ist eine bei Fernseh- und Kino-Produktionen übliche Auslagerung von Teilbereichen der Produktion in billiger produzierende, meist Drittweltländer (z. B. Korea, Vietnam, Osteuropa) nicht notwendig.
Als ein weiterer Vorteil gilt, dass Webprojekte unmittelbar und ohne hohen Forschungsaufwand auf Zuschauerakzeptanz getestet werden können. Eine Reihe an Portalen nutzen dies produktiv, fragen direkt nach dem Sehen die User, wie ihnen der angebotene Content gefallen hat und erstellen aus dem Feedback Hitlisten (Atomfilms), veranstalten Online-Wettbewerbe für Newcomer-Projekte, von denen ein Pilot ins Netz gestellt wird, was den Distributeur wenig oder gar nichts kostet. Der Pilot mit den meisten Hits bzw. Viewer Ratings erhält ein Budget von $20.000 für eine ganze Staffel (z. B. bei Atomfilms). Mit den inhaltlichen und finanziellen Restriktionen der traditionellen Medien wie Film oder Fernsehen sozialisierte Animatoren schwärmen, dass daher die Risikobereitschaft für neue und ungewöhnliche Ideen größer wäre. Hier könnte man möglicherweise von wahrer Demokratie durch den Zuschauer sprechen.
Problematisch ist jedoch vor allem die Finanzierung von Webtoons. Spezifische Probleme von Internet-Unternehmen sind, dass die Zahlungsbereitschaft der Nutzer für Internet-Content anders als für die Konsumption der traditionellen Medien sehr gering ist. Dazu kommt, dass nicht nur die Produktion von Content, sondern auch die jeweils für die Distribution genutzte Bandbreite nicht nur von den Nutzern, sondern auch von den Content-Providern teuer bezahlt werden muss: Je mehr User auf eine Seite zugreifen, desto teurer wird es. Die Werbeeinnahmen selbst auf erfolgreichen Seiten reichen nicht aus, Inhalte zu finanzieren. Erfolgreicher scheinen Syndikationmodelle zu sein, wo ein und derselbe Content auf mehreren Seiten ausgestrahlt wird (etwa die bereits erwähnten Filme von Atomfilms bei VW oder die Serien von Mondo Media). Außerdem werden Figuren und Film- oder Serienkonzepte im WWW getestet und bei Erfolg für die lukrativeren traditionellen Medien ausgewertet: WhirlGirl und Starship Regulars im Fernsehen, Little Pimp von Media Trip wird gerade fürs Kino produziert, ebenso Undercover Brother von Urban Entertainment – letzterer allerdings als Realfilm.
Stars und Celebrities wie Tim Burton, der Spielfilmregisseur von Batman, Beetlejuice, Nightmare before Christmas, Planet of the Apes und Schöpfer von Stain Boy für Shockwave, betonen den "personal level" von Flash-Animationen im Unterschied zu High-End-computergenerierten. Auch Matti Leshem von AntEye.com äußert sich euphorisch:
"This is about a new Hollywood. This is about a Hollywood where you don't have to know an agent to get your work heard. You don't have to have a friend, who works for UPN. You don't have to sleep your way to the top. This is about a Hollywood where people are literally seen for their talent". Matti Leshem, AntEye.com (zit. in Allen 2000)
Internet-Animation sei "loose" and "experimental". Es gäbe keine standardisierten Episodenlängen oder –anzahl wie bei Fernsehsendungen. Einteiler, Dreiteiler oder beliebig viele Folgen seien möglich, kurzum alles, was am besten der Geschichte entspricht. Animation im Internet sei eine Chance, Projekte zu verwirklichen, ohne deren kreative und finanzielle Kontrolle abzugeben.
Dennoch steht das Fernsehen Pate für viele Konzepte, Ideen und Produktionsmodi. Die Produktionsfirma Mondo Media arbeitet, wie schon erwähnt, mit einem Syndikationskonzept wie im Fernsehen und favorisiert einen industriellen Produktionsrhythmus wie bei einer wöchentlichen Serie fürs Fernsehen.
"Monday is spent brainstorming with the entire writing team. Wednesdays, we table read with the voice talent, and Thursdays the writers submit final polished script. VO session, animation and post is performed in the second week". (Dannacher 2000)
Als ein weiterer Vorzug wird hervorgehoben, dass die Ausstrahlung im WWW eine hervorragende Chance für Newcomer sei, sich innerhalb kurzer Zeit einen Namen zu verschaffen, da Kunst direkt an die Zuschauer weitergeleitet werden kann, ohne den Filter eines Networks oder eines Studio Heads (Corky Quakenbush, Space Bass Films in Kenyon 2000). Prinzipiell jeder hat die Chance, sich Gehör zu verschaffen, entweder, indem man seine eigenen Ideen selbst in WWW stellt oder indem man gegenüber existierenden Unternehmen ‚pitcht'.
Dirty Toons/Extreme/Outrageous
Ein früher und legendärer Webpionier, der so durch innovativen Content im Netz eine steile Karriere vorbei an den üblichen Gatekeepern wie z. B. Fernsehredakteuren, Kinoproduzenten oder –verleihen machte, war Joe Shields. Bevor er durch seine Animationen und seine Joe-Cartoon-Seite zum Millionär wurde, war er zwar kein Tellerwäscher, aber ein brotloser und unbekannter T-Shirt-Zeichner.
© Joe Cartoon
Er schuf die interaktive Flash-Animation Frog in a Blender. Schauplatz ist ein Mixer mit zehn verschiedenen Stufen und einem Off-Button, in dem ein fetter Frosch träge im Wasser herumzappelt und den User anfangs noch arrogant mit einer verzerrten Stimme provoziert: "What are you looking at? You ain't got the balls. No balls". Das Prinzip ist einfach, das grausame Ende vorhersehbar: Der User hat die Aufgabe, den Mixer per Klick auf die Maustaste zu bedienen, die Stufe ist rechts groß im Bild eingeblendet. Solange der User keine weitere Stufe anklickt, gehen Bewegung und Dialog in Endlosschleife weiter. Während bei den unteren Stufen der Frosch nur träge auf die Rotationen des Geräts reagiert, spritzt bei den höheren Stufen Blut, es fliegen Knochen und Augen durch die Gegend, auf höchster Stufe platzt der Frosch und das Wasser färbt sich blutrot. Es ist sehr typisch für Webanimationen, dass sich – sehr ökonomisch - innerhalb der einzelnen Endlosschleifen nur die Szenen im Mixer und die eingeblendete Stufenzahl verändern, mit der der Frosch malträtiert wird, alles andere ist Hintergrund und bleibt unverändert. Man könnte den Frosch im Mixer auch als episodische Serie bestehend aus zehn Episoden mit identischer Handlung, aber wachsender Dramatik und steigendem Spannungsbogen konzeptionalisieren.
Stufe |
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Dialog (in Endlosschleife) |
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Konsequenz |
0 |
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"What are you looking at? Wus. You ain't got the balls. No balls" |
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Ein fetter Frosch schwimmt in einem mit Wasser gefüllten Mixer. |
1 |
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Like I said. No balls. Wus. |
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Mixer dreht sich sehr langsam. Frosch bewegt sich abwechselnd ein wenig nach rechts und links. |
2 |
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Waouh. What a frenzy. Frenzy. |
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Mixer dreht sich geringfügig schneller. Frosch bewegt sich abwechselnd nach oben und unten. |
3 |
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Hey look. I'm spinning, I'm spinning. |
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Frosch dreht sich im Kreis. |
4 |
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Hey damn ass. You're trying to make me puke? Yah Jerk. |
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Frosch dreht sich schneller im Kreis. |
5 |
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Whip (Spuckgeräusche). |
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Frosch dreht sich noch etwas schneller, spuckt dabei eine Fliege aus, die er anschließend mit seiner langen Klebzunge wieder einfängt. |
6 |
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Frosch: Cut it out. Andere Stimme: Come on, fat slow. (Dialoge überlappen) |
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Frosch dreht sich noch etwas schneller. |
7 |
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Okay. Joke's over. Cut it out. |
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Frosch treibt waagrecht, ohne sich zu drehen, im oberen Bereich des Mixers, hebt schützend eine Hand nach oben, hat einen angstverzerrten Mund. |
8 |
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You suck. Get weed. |
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Frosch schlägt mit Wucht polternd gegen die Wände des Mixers, überschlägt sich dabei mehrmals. |
9 |
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Ouh ...ah...ouh...a |
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Frosch schlägt noch stärker gegen die Wände, dabei Poltern wie ein Kugelhagel. |
10 |
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Frosch platzt, Wasser färbt sich blutrot, Eingeweide treiben im Wasser herum, außerhalb des Mixers viel Blut und ein Auge. |
Ein Fan des Frosch im Mixer erstellte eine komprimierte Raubkopie und verschickte diese als Email-Attachment. Der Siegeszug dieser Mail platzierte Joe Cartoons Webseite in die weltweiten Top-500 mit über 500.000 Zugriffen täglich und machte Joe Shields alias Joe Cartoon zum Star.
Shields kopierte seine lukrative Idee zahlreiche Male: Hamster werden in der Mikrowelle gegart oder in einem Aquarium voller Piranjas langsam aufgefressen, Hunde an einen fahrenden Lastwagen angebunden, oder der eigene Boss wird malträtiert. Alle Animationen funktionieren nach dem eben beschriebenen Prinzip, dass der User klicken muss, um die Handlung voranzutreiben. Manchmal haben sie noch eine unerwartete Schlusspointe. Gewinner gibt es keine.
Joe Shields zeichnet heute keine T-Shirts mehr. Wie erfolgreich er ist, zeigt sich daran, dass seine Animationen heute sowohl auf seiner Seite als auch bei Atomfilms und Shockwave laufen.
Die animierten Gewaltexzesse gegenüber Tieren bei Joe Cartoon sind kein Einzelfall, wie man vielleicht vermuten könnte. Es gibt eine Fülle von als Extreme, Dirty Toons, Sick & Twisted oder Outrageous bezeichneten Webtoons: Sehr populär ist auch das Foltern oder Töten von Stars wie Arnold Schwarzenegger, Britney Spears oder Bill Gates bei Assasins. Meist wird bei diesen Collage-Animationen ein Foto des Kopfes überdimensional groß in eine Flash-Animation eingebaut.
Alle diese Formen weisen ein gemeinsames Merkmal auf: Interaktivität, wobei der Grad der Interaktivität verschieden ist. Während man beim Frosch im Mixer genüsslich den Stärkegrad variieren kann und bei Assasins die Art der Folter, laufen bei der Weekend Pussy Hunt bei Icebox mehrere Dinge gleichzeitig ab: Einerseits wird eine Geschichte erzählt, deren Genuss darauf beruht, dass man voyeuristisch dem dummen Verhalten des Hundes zuschaut. Andererseits erhält der User Zusatzinfos und weitere kleine Handlungselemente, wenn er aufmerksam den schriftlichen Hinweisen auf dem Bildschirm folgt und suchend herumklickt. Wenn er nicht schnell genug reagiert, entgehen ihm nicht nur Details oder auch der Preis, sondern wird er durch schriftliche Aufforderungen/Sprechblasen hämisch von der Serie verspottet.
Neben Gewalt und Folter werden noch weitere Tabubereiche durch den Kakao gezogen. Es gibt Serien über einen sich prügelnden und drogenverteilenden Jesus, Gott und den Teufel in einer Talkshow mit Celebrities (die die User am Ende in den Himmel oder die Hölle schicken können), oder über eine kettenrauchende Nonne, die fluchend Kunstgemälde bespricht. Amerikanische Legenden werden dekonstruiert, wie z. B. Abraham Lincoln in Hard Drinking Lincoln.
Ihren Sexualtrieb befriedigende und kotzende Hunde, Slang, Fäkalsprache, Sex, Gewalt, insgesamt findet eine Dekonstruktion von Wertmaßstäben statt: Die Serien treiben die von US-amerikanischen TV-Zeichentrickserien wie Ren & Stimpy und South Park entwickelten (Anti-)Standards weiter. Führt man sich vor Augen, dass ein US-amerikanisches Publikum besonders in bezug auf Sexualität und Religion sehr viel wert-konservativer ist als ein europäisches Publikum, fallen die dargestellten Handlungen noch stärker ins Gewicht. Diese Dinge funktionieren nur im Animationsfilm, entweder, weil sie in der Realität Tabugrenzen überschreiten würden oder gar nicht möglich wären. Sie appellieren auf harmlose Weise an die eher primitiven Instinkte des Menschen, offerieren ein Ventil im geordneten und stressigen Alltag.
Kaum ein Thema hat die Internet-Öffentlichkeit im letzten Jahr so bewegt wie der Skandal um die File-Sharing-Software Napster. Vereinfacht gesagt, ist Napster eine Liste von Musiktiteln auf einem Server, auf dem sonst nichts liegt, von dem aus aber auf andere Rechner referenziert wird. Mit ein paar Mausklicken kann jeder Songs im MP3-Format enkodieren und die Raubkopien der Online-Community zum Download zur Verfügung zu stellen und sich selbst aus dem umfangreichen Fundus bedienen.
Die Major Players in der Musikindustrie fürchteten berechtigterweise um ihre Tantiemen. Die US-amerikanische Band Metallica ging auf gerichtlichem Weg gegen Napster vor. Bertelsmann schließlich kaufte sich bei Napster ein um es auf Abo-Basis weiterlaufen zu lassen. Dies löste das Problem jedoch nicht, da sofort eine Reihe ähnlicher, teils noch ausgeklügelter und noch stärker dezentralisiert arbeitender File-Sharing-Services auf den Plan ging (Gnutella, Mojo Nation, Morpheus usw.), über die nicht nur Musiktitel, sondern auch Grafiken, Videos und Software getauscht werden können. Napster machte auf eindrückliche Weise deutlich, dass das gegenwärtige Urheberrecht im Internet nicht mehr viel wert ist.
Bob Cesca, Chef des 1998 mit einem kleinen Budget gegründeten Portals Camp Chaos, machte sich die Aktualität und Popularität des Napster-Skandals zunutze und verarbeitete ihn in der achtteiligen Serie Napster Bad. Die Protagonisten sind die Metallica-Band-Mitglieder Lars Ullrich und James Hetfield. Die dritte Folge bezieht sich nicht nur auf den Napster-Skandal, sondern persifliert die Game-Show Who wants to be a millionaire, die ja auch in Deutschland das Game-Show-Genre wiederbelebte.
Als Napster Bad am 10. Mai 2000 startete, verzeichnete Camp Chaos fünf Millionen Hits, auf die das Portal nicht vorbereitet war. Der Ansturm verursachte zwei Server-Crashs und bescherte Camp Chaos eine Rechnung von $ 20.000 für erweiterte Bandbreitennutzung und neue Server.
Daraufhin bereitete die Heavy-Metal Band Mötley Crüe dem Unternehmen ein Angebot, weitere Folgen der Serie zu produzieren. Die Band wollte damit ihre eigene Tour promoten und sich von Metallicas unpopulärer Strategie gegen Napster distanzieren. Die Serie verschaffte dem Portal 50.000 Besucher und ca. 200.000 Page Views pro Tag. Camp Chaos spezialisierte sich eine Zeitlang sogar auf Behandlung des Napster-Skandals.
Napster Bad ist ein Paradesbeispiel dafür, dass fast alle Animationen im Internet sich dem Genre der Parodie zuordnen lassen. In der Literaturwissenschaft wird mit Parodie "die verspottende, verzerrende oder übertreibende Nachahmung eines schon vorhandenen Werkes (auch eines Stils, einer Gattung) oder einzelner Teile daraus unter Beibehaltung der äußeren Form (Stil und Struktur), doch mit anderem, nicht dazu passendem Inhalt" (Wilpert 1989:660) bezeichnet.
Es gibt unzählige Parodien auf die Genres anderer Medien, vor allem die des Fernsehens, z. B. Krimis, Western, Science-Fiction (7th Portal), Adventure, Promi-Talkshows (The God and Devil Show mit Karikaturen von berühmten Persönlichkeiten, die die Zuschauer in den Himmel oder die Hölle senden können; wöchentliche Filmbesprechungen Thugs on Film, Sitcoms (Meet the Millers), Gameshows oder Krankenhausserien (Clear!), die Teletubbies, bekannte Persönlichkeiten wie die bereits erwähnte Britney Spears, Bill Gates oder Hillary Clinton oder auf Ereignisse, die die Medien beherrschen wie der eben geschilderte Napster-Skandal.
Parodien erfüllen verschiedene Funktionen: "Ihr Zweck ist entweder Aufdeckung der Schwächen und Unzulänglichkeiten eines Werkes durch karikierende Imitation (kritische Parodie), scharfer, fanatischer und schmähender Angriff auf Verfasser und Werk mit dem Ziel, sie der Lächerlichkeit preiszugeben und das eigene Überlegenheitsgefühl zu stärken (polemische Parodie), oder einfach harmloses Spiel aus Lust an komischer Abwandlung des Stoffes (komische Parodie). [...] Oft bringt gerade erst der Ruhm des großen Werkes der Parodie, die ihm nicht schaden kann, sondern Ventil gegen erhabenen Anspruch ist, eigenen Glanz, während die zeitgebundenen Parodien ohne eigenen Gestaltungswert längst vergessen und nur noch von kulturhistorischem Wert sind". (Wilpert 1989:660)
Auch wenn sicherlich alle diese Gründe zutreffen, erklärt sich die hohe Anzahl an animierten Parodien im Netz sicher darin, dass bei einer Länge von zwei bis fünf Minuten keine Zeit für lange Expositionen ist: Animationen für das Internet müssen sofort zum Punkt kommen, müssen Zeichen setzen, die sofort verstanden werden. Komik entsteht durch die Diskrepanz zwischen Form und Inhalt und durch die nur vom Original aus verständliche Abwandlung derselben. Parodien haben also einen hochgradig ikonischen Charakter.
Viele Animationen bauen entweder auf stark schematisierten Gattungswissen über TV-Genres oder auf aktuell in den Medien be- und verhandelten Themen (Politik, Industrie, Musik und Film) auf und die daher noch im Kurzzeitgedächtnis der User präsent sind. Es handelt sich um kurzweilige Zeitgeist-Phänomene, die aber vermutlich keinen bleibenden Wert haben.
Nun könnte man darüber spekulieren, ob ein Stanley Kubrick oder Alfred Hitchcock des WWW noch geboren werden muss. Dies ist meines Erachtens aber die falsch gestellte Frage. Niemand setzt sich am Arbeitsplatz vor den Bildschirm und will konzentriert einen langen Film sehen: Dieser Typ von Animationen wird während der Arbeit in der Mittagspause betrachtet oder ggf. per Email an Freunde weiterverschickt.
Der visuelle Stil von Animation im Internet
In der Forschung zu traditioneller Animation für Film und Fernsehen wird zwischen "full animation" und "limited animation" unterschieden (vgl. dazu Laybourne 1998; Furniss 1997). Als "Full Animation" wird Animation bezeichnet, die konstante und weiche Bewegung mit einem Minimum an Zyklen verwendet. Im Idealfall wird jede Zeichnung nur einmal verwendet. Weitere Merkmale sind hohes Maß an Metaphorik, Detailtreue, räumliche Tiefe und Dreidimensionalität. Animation fürs Kino. Der bekannteste Vertreter ist Walt Disney. Seine Filme sind minutiöse Kopien der Realität, die mit der grundlegenden Regel des Animationsfilms brechen, niemals zu versuchen, mit dem Realfilm zu konkurrieren. (Bendazzi 1994:65). Für Schneewitchen (1937) bspw. den ersten Zeichentrickfilm in Spielfilmlänge, bildete Realfilmmaterial mit der Tänzerin Marge Champion die Basis für das gezeichnete Schneewitchen.
"Limited Animation" bezeichnet die Animationsästhetik, die Ende der 50er Jahre mit der steigenden Popularität des Fernsehens aufkam. Im striktem Gegensatz zur "Full Animation" für das Kino ist es bei Limited Animation grundsätzliches Ziel, die Bewegung im Bild zu reduzieren. Das wird z. B. dadurch erreicht, dass anstatt eine Frau ihren ganzen Kopf bewegt, sie nur mit den Augen blinzelt; ein Gesicht ist statisch und nur der Mund bewegt sich. Bewegungen wiederholen sich, z. B. wenn eine Person zum Abschied winkt (cycles). Es werden weniger Bilder für eine Bewegung verwendet, die dementsprechend ruckartiger wirkt (drei, vier, fünf oder sechs Bilder lang das gleiche Bild). Wenn möglich, werden Bilder angehalten, während die Musik, die Stimme oder auch die Soundeffekte die Handlung vorantreiben. Der Sound (Voice-Over, Dialog) dominiert die Handlung. Daher wird Limited Animation auch ironisch als Hörspiel bezeichnet. Manchmal wird der Mund des Sprechers bedeckt, da so weniger komplexe Zeichnungen für Lippensynchronität benötigt werden. Die Storyboard-Designer sind angewiesen, möglichst viele Zeichnungen und Hintergründe aus der Bibliothek erneut zu verwenden (daher haben Geschichten immer wieder ähnliche Schauplätze). Die Kamera filmt immer aus der gleichen Perspektive und es gibt viele Close-Ups. Das für Full Animation typische Shape-Shifting, Squash and Stretch und Metamorphose wird kaum verwendet. Zu den bekanntesten Vertretern gehören Hanna-Barbera, die z. B. die Flintstones produziert haben.
Bei Animation für das Internet, wo sich die Bildgröße noch mal verringert, finden sich alle Merkmale von Limited Animation in extremer Form. Es bewegt sich immer nur ein kleiner Teil des ohnehin schon kleinen Bildes. Die nahezu einzigen Kamerabewegungen sind Zooms. Um Bytes zu sparen, sind die Bewegungen ruckartig und nie fließend und erfordern aktive Konstruktionsleistungen des Users. Es ist leicht vorstellbar, in welche Richtung der Trend für Animationen für Hand-Held-Devices und Mobiltelefone geht, für die es bereits erste Flash-Player und ersten Content gibt.
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen neuen und alten Medien stellt sich bei Animation im Internet von Neuem. Wie verändern sich alte Genres, welche neuen bilden sich heraus? Ähnlich wie Trailer, Teaser und Appetizer im Fernsehen sind die ganz kurzen Preloader, die das Warten während des Downloads des eigentlichen Contents ‚versüßen' sollen, eine sehr interessante und neue Form. Es hat den Anschein, dass viele Webtoons die serielle Struktur des Fernsehens und die Bildästhetik des Comics übernehmen. Durch ihre Interaktivität gleichen sie sich aber mehr und mehr den narrativen Konventionen des Computerspiels an. Diese Relationen näher zu betrachten, erscheint sehr produktiv.
Die für die Betrachtung von Angeboten im Netz zentrale, aber mit viel Mythen behaftete Kategorie der Interaktivität muss je nach Grad der Einflussnahme des Users theoretisch und empirisch ausdifferenziert werden. Es ist davon auszugehen, dass hier das innovative Potenzial liegt. Welche neuen narrativen Formen resultieren aus der Spuren hinterlassenden Einflussnahme des Users? Inwieweit werden bspw. nichtlineare Erzählstrategien der Netzliteratur übernommen oder adaptiert?
Allen, Jamie: "The golden age of the short. Shorts move from film-class project to big time on Web". In: http://www.cnn.com/2000/SHOWBIZ/Movies/05/15/short.film/.
Bendazzi, Giannalberto: Cartoons. One hundred years of cinema animation. Bloomington, Indianapolis: Indiana University Press 1994.
Berger, Arthur Asa: Seeing is Believing. An Introduction to Visual Communication. San Francisco: Mayfield 1998.
Clarkson, Mark: Flash 5 Cartooning. New York: Hungry Mind 2001.
Dannacher, Lee: Mondo Media At Play On The Internet Frontier. In: Animation World Magazine 4.12, März 2000. http://www.awn.com/mag/issue4.12/4.12pages/dannachermondo.php3.
Furniss, Maureen: Art in motion: Animation aesthetics. Sydney: John Libbey 1998.
Kenyon, Heather: "The Independent Internet". In: Animation World Magazine 5.02, Mai 2000. http://www.awn.com/mag/issue5.02/5.02pages/kenyonsurvey.php3.
Kübler, Magdalene: Web-Design. Professionelle Websites planen und gestalten. Heidelberg: dpunkt 1999 (2., überarb. Und erweit. Aufl.)
Laybourne, Kit: The Animation Book. A Complete Guide to Animated Filmmaking – From Flip Books to Sound Cartoons to 3D Animation. New York: Three Rivers Press 1998.
Schmidt, S. J.: Guido Zurstiege: Orientierung Kommunikationswissenschaft. Was sie kann, was sie will. Reinbek: Rowohlt 2000.
Solomon, Charles: Enchanted Drawings. The History of Animation. New York: Knopf 1989.
Thurman; Judith; Jonathan David: The Magic Lantern. How Movies Got to Move. New York: Athenauem 1978.
Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner 1989. (7. verbesserte und erweiterte Aufl.)
Wolter, Sascha: Flash 5. Mit Action Script und Generator. Bonn: Galileo 2001.