IfI - In den Medien

Die Zeit

Es handelt sich hierbei um einen Artikel zum

"Projekt Deutscher Wortschatz"

der Abteilung
Automatische Sprachverarbeitung

 
19.09.97

Leipziger Linguisten wollen sämtliche deutschen Wörter erfassen


von Manfred Dworschak



Es pulst, pächtelt und quärkt

In Leipzig steht ein Computer, dem entgeht bald kein Wort mehr, das im deutschen Sprachraum geschrieben wird, Lochbandlocher, Lochowitz, löchsten, Linguisten füllen ihm alles ein mit wissenschaftlichem Gleichmut, Wutspur, wüüüööörchch, wutsch, egal wie geschrieben, Umpfang, Lockenbracht, wutentbrand, immer hinein damit. Zweieinhalb Millionen Wörter ruhen bereits in den Tiefen des Speichers.

Dabei hat das "Projekt Deutscher Wortschatz" an der Leipziger Uni gerade erst angefangen. Immerzu schaffen die Forscher neuen Stoff heran aus maschinenlesbaren Wörterbüchern, Zeitungen auf CD-ROM, aus dem Internet. Freiwillige im gesamten Sprachraum sind herzlich zur Erntearbeit eingeladen. Sie bekommen gratis eine CD-ROM mit dem bisherigen Bestand und der nötigen Software. Ruhe erst, wenn alle Wörter der deutschen Sprache eingebracht sind, zwischen fünf und zehn Millionen.

Schon jetzt zeigt sich, wie unbezwinglich unsere Sprache wächst und wuchert; ja sie pulst, pächtelt und quärkt vor sich hin, daß bald alles zu spät ist. Nur mit modernsten Computern bekommt man sie überhaupt noch zu fassen.

Und warum läßt man es nicht einfach bleiben? Die Leipziger murmeln was von maschineller Übersetzung und so weiter; das glaube, wer will. Es gibt da eine Geschichte von Arthur C. Clarke. Sie heißt "Die neun Milliarden Namen Gottes" und spielt in einem Kloster in Tibet. Die Mönche geben tagein, tagaus Wörter in einen Computer ein, alle Wörter, die überhaupt möglich sind, neun Milliarden ihrer Berechnung nach. Das sind die Namen Gottes, sagen sie. Sobald der letzte aufgezeichnet ist, erlischt die Welt.

Die Klausner an der Universität zu Leipzig sind bald soweit. Dann ist der Name jedweden deutschen Dinges eingegeben, jeder Tätigkeit und jedes Menschen. Haben sie auch schon den Dworschak? Ja, auch den. Sogar mit Belegsatz. "Bunzenthal (25./90.) sowie Dworschak (65.), Würzburger (83.) und Brandl (85.) trafen für die Riederwälder."

Diese Belegsätze sind ein Schatz für sich. Sie gäben künftigen Forschern, wenn es eine Zukunft gäbe, wunderliche Rätsel auf, zum Beispiel was das Locker-Reiten betrifft: "Interessiert hat er sich zum Beispiel für mein sogenanntes Locker-Reiten." Selbst in puncto Besamen, wo eigentlich alles klar ist, hat ein unbekannter Wortspender neue Mirakel heraufbeschworen: "Leider lassen immer mehr Bauern ihre Kühe künstlich besamen, und ich muß es ausbaden."

Ungeahnt lustig, die Deutschen, erst recht, wenn sie ihre geliebten Komposita zusammenschrauben wie nicht gescheit. Wir danken ihnen die Erfindung der Jagdchicsen, des Phrasenparmesan, des Quarktaschengeldes und des Pipisträußchens. Auch neue Berufe und Fachgebiete sind in unserem Wortschatz schon angesät, zum Beispiel der Wuseltroniker, Genitiv: des Wuseltronikers wenn auch an der Rechtschreibung (die Wuseltronick) noch gearbeitet wird.

Kein Grund zu lachen. Auch das sind Gottes Namen; ein jeder ist ihm gleich lieb. Unangenehm wird ihm höchstens sein, daß man ihn am Ende noch für einen Deutschen halten wird. Denn schon heute ist es praktisch nicht mehr möglich, ein Wort zu erfinden, das nicht deutsch ist. Mag es wer probieren? Bitte sehr. Der Pächtel quärkert den Wuschelwurm? Nicht schlecht. Haben unsere Linguisten freilich längst im Computer. Viel fehlt nicht mehr, dann sind sie fertig, und am Himmel über Leipzig erlöschen die Sterne.

(C) DIE ZEIT 19.09.1997 Nr.39


HTML-Umsetzung: Andreas Zerbst 03.12.99