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R A X I S O R I E N T I E R U N G I M
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T U D I U M
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"Als Student konnte ich in Leipzig eine Menge lernen",
läßt Frank Bublys die jüngste Vergangenheit
Revue passieren. Und damit meint er vor allem die Vorlesungen
und Übungen, die von Berufspraktikern aus der
Versicherungsbranche veranstaltet wurden.
So können die Themen Projekt- und Qualitätsmanagement
dazu beitragen, die Kluft zwischen traditionellem Lehrangebot
und Praxisbedarf zu mindern. Bublys ist einer der ersten
Informatikabsolventen mit Schwerpunkt Versicherungswirtschaft
und verdient seit Sommer letzten Jahres sein Geld bei der
R+V Versicherung in Wiesbaden.
Daß sich das praxisorientierte Studienangebot gerade in Leipzig etablieren konnte, kommt nicht von ungefähr. "Nach der Wende litt die Informatik an einer schwachen Besetzung", erinnert sich Professor Siegmar Gerber, heute Prodekan an der Universität. Aus der Not entstand eine Tugend: Auf der Suche nach Partnern für die überlebensnotwendige Drittmittelbeschaffung kam man schnell mit der Versicherungswirtschaft ins Gespräch. Allerdings machten die Professoren von Anfang an deutlich, daß sie keinerlei Zugeständnisse gegenüber der wissenschaftlichen Ausbildung im Sinn hatten. "Man muß aufpassen, daß die Universität nicht zu einer Betriebsakademie der Wirtschaft umfunktioniert wird.", stellt Gerber klar.
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Die entscheidenden Impulse jedoch - dies steht außer Frage -
kamen aus der Versicherungsbranche. Allen voran traten die Allianz
sowie die R+V Versicherung auf den Plan und gründeten zusammen mit
Professor Wolfgang Glatthaar, Wissenschaftsdirektor der IBM
Deutschland GmbH und später Präsident der Gesellschaft für
Informatik (GI), sowie Professor Walter Knödel, Gründungsdekan
der Informatik an der Universität Leipzig, eine Kommision.
Ihre kritischen Aussagen zum Verhältnis zwischen Theorie und Praxis sowie ihre konstruktiven Vorschläge für eine praxisorientierte Hochschulausbildung in der Informatik legten sie in Gestalt eines Weißbuches vor, mit dem sie den Marsch durch die Institutionen antraten. Michael Mühl, Prokurist bei der R+V: "Wir sind davon überzeugt, daß die Universität nicht nur Wissenschaftler produzieren sollte, sondern sich vor allem auf die bedarfsgerechte Qualifizierung des Nachwuchses konzentrieren muß." Inzwischen ist Diplominformatik mit Schwerpunkt Versicherungswirtschaft etabliert und mit einem Kooperations-Rahmenvertrag zwischen dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Bonn, und der Universität Leipzig untermauert. Seit dem Wintersemester 1992/93 können sich Studenten für den neuen Studiengang an der Leipziger Uni immatrikulieren. | |||||
![]() An der Uni Leipzig hat sich die Zahl der Erstsemester im Informatikstudium verdoppelt. | ||||||
Während die ersten vier Semester
den theoretischen Grundlagen vorbehalten sind, können sich die
Versicherungsinformatiker in spe im Hauptstudium auf Probleme
von Anwendungssystemen und -architekturen, Software und Datenbanken,
aber auch auf Fragen des Projektmanagements oder des
Qualitätsmanagements konzentrieren.
Das persönliche Engagement der
Versicherunghspraktiker auf dem Campus bietet der überschaubaren
Zahl von Studenten eine gute Gelegenheit, erste berufliche Kontakte
zu knüpfen und Erfahrungen zu sammeln. Die Nachfrage nach Praktika
und Diplomarbeiten ist deshalb sehr groß. Mittlerweile hat das
Interesse an einem Informatikstudium in Leipzig spürbar angezogen:
"Mit etwa 100 Erstsemestern registrieren wir eine doppelt so hohe
Nachfrage wie 1995", berichtet Professor Gerber nicht ohne Stolz.
Auch die wissenschaftliche Betreuung kann sich sehen lassen,
insgesamt sind demnächst zehn Lehrstühle besetzt.
Noch müssen sich die Berufspraktikas allerdings in Geduld üben. Bublys, angesprochen auf die größten Defizite des Studiums aus seiner Sicht: "Konzeptionelles Denken und das Erkennen von Zusammenhängen liegt den meisten Informatikstudenten fern." Viele träumen von einem Hackerleben als Unix-Freak und fielen spätestens beim Berufseinstieg auf die Nase. Allerdings können sich die Studenten durch praxisorientierte Ergänzungen des Lehrangebotes wie mehrmonatige Praktika und Diplomarbeiten vor Ort auf die Anforderungen der Versicherungspraxis einstellen und vorbereiten.
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"Viele DV-Projekte kranken daran, daß Informatiker kein Branchenwissen
mitbringen", geht auch Gottfried Koch mit der Ausbildung des
Nachwuchses ins Gericht. Der Geschäftsführer der FJA Feilmeier
& Junker GmbH, München, eines Informatikdienstleisters für
Versicherungen, legt den Finger in die Wunde. Damit Informatiker
nicht weiter auf fremden Schauplätzen kämpfen und durch unzureichendes
Verständnis gegenüber den Problemen vor Ort nur die Kosten weiter in
die Höhe trieben, sollten bereits in der Hochschulausbildung neben
dem Informatikwissen auch fachliche und außerfachliche Kompetenzen
erworben werden. "Als Unternehmer legen wir unser strengstes Korsett
ab und gehen an die Universität", so Kochs Vision der Partnerschaft
zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.
Die Wissenschaft, so Dietmar Freigang, Direktor der Anwendungsentwicklung bei der Allianz Leben, Stuttgart, solle Informatiker ausbilden, "die sich in der rauhen Welt des internationalen Wettbewerbs bewähren". In Leipzig zumindest sind die Weichen gestellt. Die Initiatoren träumen von hochqualifizierten Absolventen, denen Geschäftsprozesse und Anforderungen der Anwender, für die sie informationstechnische Lösungen entwickeln müssen, vertraut sind. "Die gegenseitige Befruchtung aus Wissenschaft und Anwenderunternehmen ist wesentliches Element der Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland", so Freigang - auch des Standortes Leipzig, könnte man hinzufügen. | |||||
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Winfried Gertz |
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