Philosophische Reflexionen zur Struktur der Kausalität

Herbert Hörz

Abstract

Three steps recognizing real causal relations are charakterized. Aristotle founded the process as realization of possibilities with causa materialis, formalis, efficiens and finalis. Laplace restricts the manifold of structures to the causa efficiens in the sense of a necessairy mechanism for all processes in which one possibility is necessairily realized. Therefore human beeings can predict exactly the futur of all. Bohr and others showed with the philosophical interpretation of the quantum theory and the Heisenberg relations of uncertainty a statistical manner of thinking. In statistical laws we have fields of possibilities. Under certain conditions a system realizes one possibilitiy with necessity, but the elements of the system realize potential possibilities with probabilities. The consequences of this step we have in the concepts of self-organization. May be, this is a fourth step. The transformation from a linear to a non-linear approach, relating to the Bohr and self-organization step, leads to a differentiation of causal relations and other forms of real connections as the realization of possibilities, the necessity in random processes, the formation of material contents, the self-organization of structures and laws as essential and reproducable relations. Several aspects of Non-Linearity exist. Linearity is an important abstraction from the real Non-Linearity. Causal relations are the contentional and temporal directed real intermediation between events. The law or principle of causality means only, that every effect has causes, and every cause has effects. The structur of real causal relations is determined only through the place in a real system. Seaking causality, we find special forms of real connections as self-organization.

A case study shows Mittaschs position to Robert Mayer and to the differentiation of conservation and initial causality. Causality as foundation of recognizing and shaping reality leads us not to the fundamental causality but to laws or essential causal relations with fields of possibilities, stochastic realizations with probability and probabilistic transformations. With the Schrödinger equation and the discussion of some cases in jurisprudence the relevance of this statistical conception of causality and law is shown.

1. Einführung

Zur Struktur der Kausalität gab und gibt es unterschiedliche Auffassungen. Der Physiker Werner Heisenberg untersuchte die Auswirkungen der Quantenmechanik auf den Begriff der Kausalität und der Naturgesetzlichkeit. Er meinte, daß Feststellungen, das Prinzip der Kausalität sei mit der modernen Atomlehre nicht mehr vereinbar, sehr unklar seien, "solange die Begriffe Kausalität oder Gesetzlichkeit nicht genügend geklärt sind." (Heisenberg 6, S. 24) Die Forderung der Kausalität, nach der es möglich sei, die Zukunft exakt vorauszusagen, sei durch die statistische Denkweise eingeschränkt, "da die unvollständige Kenntnis eines Systems ein wesentlicher Bestandteil jeder Formulierung der Quantentheorie sein muß." (Heisenberg 6, S. 29)

Der Chemiker Alwin Mittasch betonte: "Jede Betrachtung wissenschaftlicher Kausalität deckt eine unübersehbare Mannigfaltigkeit einzelner Kausalformen und Kausalbegriffe auf, die der Mannigfaltigkeit der Naturformen kaum nachsteht." (Mittasch 25, S. 21) Kausalitätsstreit, der das kausale Denken fördere, betreffe immer die mittleren und höheren Abstraktionsstufen, da bei den konkreten Kausalbeziehungen nur darüber diskutiert werden könne, ob die Beobachtungen richtig waren. So bleibe dem Philosophen der Streit um die Kausalität und dem empirisch orientierten Wissenschaftler immer sein experimentelles Refugium, frei von der Auseinandersetzung um philosophische Begriffe wie Kausalität, Zufall und Gesetz. Mittasch meinte: "Während die allgemeinen und abstrakten Kausalbegriffe, zumal die hochabstrakten wie Kraft, Potenz, Vermögen, dauerndem Wandel hinsichtlich Inhalt und Geltungsbereich unterworfen sind, steht das allgemeine Kausalprinzip als eine in der psychophysischen Organisation des Menschen und in der Beschaffenheit seiner Erlebnisse begründeten Forderung des Denkens unerschütterlich und unwandelbar fest." (Mittasch 25, S. 21) Das leichte Akausalitätsgeplätscher, das mitunter hörbar würde, könne zwar den Kausalitätsfelsen umspülen, ihn jedoch nicht unterwühlen und umstürzen.

Diskussionen um Kausalität zeigen, daß jede beschränkende Ansicht, wie etwa die im Laplaceschen Dämon ausgedrückte mechanistische Position einer qualitätslosen Ablaufkausalität, später wieder aufgehoben wurde. Das Prinzip jedoch, daß jede Wirkung verursacht sei, war immer Anlaß für neue Erkenntnisse.

Gibt es nun neuere theoretische Ansätze, die das Kausalprinzip wieder einmal zur Disposition stellen? Das könnte mit den Forschungen zur Selbstorganisation der Fall sein. Sie führen zu einem präziseren Verständnis der Interaktion von Systemen. Interaktion ist zugleich mit der Verursachung von Wirkungen (Kausalität) verbunden. Damit wird die nie beendete Diskussion um die Rolle von Potentialitäten und Probabilismen in einer deterministischen oder indeterministischen Sichtweise nicht nur wieder aktuell, sondern erhält neue Bedeutung, denn Kausalität und Selbstorganisation scheinen sich auszuschließen. Ist das wirklich der Fall? Legen wir bei der Ordnung der Wirklichkeit ein erweitertes Verständnis von Kausalität zugrunde, dann ist Selbstorganisation ein Mechanismus zur Enststehung von Neuem, der auf kausaler Grundlage existiert. Es vollzieht sich der Übergang von der linearen zur nicht-linearen Denkweise in den Naturwissenschaften und in der Philosophie, der in seinen verschiedenen Schritten und Aspekten nur interdisziplinär zu erfassen ist.

Die Erkenntnis der Kausalität vollzog sich in verschiedenen Stufen, die sich prinzipiell voneinander unterscheiden. So verwies Aristoteles auf vier Ursachengruppen, die in der Laplaceschen Stufe auf den vorausbestimmten Ablauf des Geschehens eingeschränkt wurden, während die Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie die Rolle des Zufalls betonte. Wesentliche Charakteristika der Aristotelischen und Laplaceschen Denkweise werden benannt, um deren Einschränkung der Kausalauffassung zu zeigen. Die Bohrsche Erkenntnisstufe ist wiederum eine Erweiterung des Verständnisses von Kausalität und mit dem Übergang von der vorherrschenden linearen Denkweise des 18. und 19. Jahrhunderts zur nicht-linearen Denkweise verbunden. Alwin Mittasch entwickelte nach den Debatten um den Determinismus seine Auffassungen aus der Katalyse und suchte nach einer Auffassung von Kausalität, die alle Lebensbereiche umfassen konnte. Schrödingergleichung und strafrechtliche Positionen zeigen die Relevanz der statistischen Auffassung, wobei die Diskussion um Kausalität nie abgeschlossen sein wird, da Kausalität Erkenntnis- und Gestaltungsgrundlage menschlichen Handelns ist und neue Erfahrungen verallgemeinert werden.

2. Erkenntnisstufen der Kausalität

Aristoteles befaßte sich mit dem Naturprozeß und der dabei erfolgenden Veränderung der Objekte. Seine Einsichten sind in den Überlegungen zur Prozeßursache enthalten. Er verwies auf zwei wichtige Aspekte der Ursache-Wirkungs-Beziehung. Erstens faßte er den Prozeß als Verwirklichung von Möglichkeiten. "Der Prozeß muß ja die Verwirklichung (des Möglichkeitsmoments) beider Gegenstände (der Ursache wie des Objekts des Prozesses) sein." (Aristoteles 1, S. 63) Daraus leitete er zweitens die Rückwirkung der Wirkung auf die Ursache ab. Er unterschied zwischen der Aktivität der Prozeßursache und der Passivität des Prozeßobjekts und betonte doch die Wechselwirkung. Hegel verschärfte das später, indem er keinen Inhalt in der Wirkung anerkannte, der nicht in der Ursache war und dann feststellte: "Die Kausalität ist hiermit in das Verhältnis der Wechselwirkung übergegangen." (Hegel 5, S. 150) Aristoteles umging diese Auflösung der Kausalität, denn die Verwirklichung des Möglichkeitsmoments der Ursache vollzieht sich an der Wirkung. Ausbildung, mit den zwei Prozeßmomenten, der Wirkung des Lehrers auf den Schüler und der des Schülers auf den Lehrer, war für ihn ein einheitlicher Prozeß des Wirkens und Erleidens. Trotzdem bestehe keine Identität zwischen beiden, da der Lehrer nicht alles lernen müsse, was der Schüler lerne. Für Aristoteles "ist qualitative Veränderung nichts anderes als die Verwirklichung einer qualitativen Möglichkeit am Prozeßobjekt." Aristoteles 1, S. 65) Er faßte damit die Ursache-Wirkungs-Beziehung, die erst später als Kausalität bezeichnet wurde, als gerichtet. Sie ist eine inhaltlich, von der aktiven Ursache zur passiven Wirkung, und zeitlich, in der Zeit sich vollziehende, gerichtete Relation. Die Einordnung in die Zeit führte ihn zu der Position, "daß nämlich jeder im Prozeß befindliche Gegenstand immer schon ein Stück Prozeß hinter sich hat." (Aristoteles 1, S. 164) In seiner Definition der Ursache verwies Aristoteles auf vier Gruppen: erstens auf die Bestandteile einer Sache, aus dem sie entsteht (causa materialis); zweitens auf die Gestalt oder das Urbild zur Formierung der Stoffe (causa formalis); drittens das Hervorbringende als Ursache des Hervorgebrachten (causa efficiens); viertens das Endziel, das Weswegen (causa finalis). (Aristoteles 2, S. 104) Keine Veränderung sei allein auf eine Ursache zurückzuführen.

Wir können festhalten: Jedes Ereignis besteht aus einem Komplex von Kausalbeziehungen, eben der Wechselwirkung, in der Ursachen und Wirkungen ihren Platz wechseln. Um das Ereignis in seiner Bedeutung zu erkennen, zu erklären und die Erklärung zur weiteren Gestaltung nutzen zu können, lösen wir aus dem Komplex bestimmte Beziehungen experimentell und theoretisch heraus, die wir Kausalbeziehungen oder Regularitäten und Gesetze nennen.

Die Lehre des Aristoteles brachte durch ihre Vielfalt Probleme mit sich, da man eine Definition suchte. So wird 1775 in einem philosophischen Lexikon vermerkt: "Es ist sonst bekannt, wie man mit dem Aristotele in der Lehre von der Bewegung nicht durchgehends zufrieden gewesen, indem er nicht nur eine ungereimte Definition davon gegeben; sondern auch in der Anzahl und der Arten der unterschiedenen Gattungen davon gar verwirret sich aufgeführet." (Walch, 31, Teil 2, S. 1242) Der Hinweis, daß die Eindeutschung des Terminus Causa durch "Ursach" der Bedeutung nicht voll gerecht werde, wird mit der Feststellung verbunden: "Was aber die Caussa im metaphysischen Sinne sey? darinnen waren ehemals die Scholastici nicht einig." (Walch, 31, Teil 1, S. 530) Mit den vier allgemein anerkannten Ursachen des Aristoteles verband man weitere, der Scholastik mit ihren subtilen Definitionen angemessene, Differenzierungen. Allein die causa efficiens umfaßt zwölf Gruppen mit weiteren Einteilungen. Dazu gehören die ursprünglichen und abgeleiteten, universellen und partikularen, endlichen oder unendlichen, inneren und äußeren, isolierten oder gekoppelten, notwendigen und freien, näheren und entfernteren, physischen oder moralischen Ursachen, um nur einige zu nennen.

Wichtig ist der Unterschied von Ursachen und Bedingungen, denn die Causa sine qua non habe keine direkte Wirkung. Als Beispiel dient ein Vater, der seinen Sohn auf die Universität schickte und dem dort ein Unglück zustieß. Der Vater hatte keine Intention, ihm ein Unglück zustoßen zu lassen und wurde dabei selbst auch nicht aktiv. Trotzdem sei nur durch die Handlung des Vaters das Unglück eingetreten, weshalb man von einer conditio sine qua non sprechen müsse. (Walch, 31, Teil 1, S. 535) Festzuhalten ist: Die Gesamtheit der direkt oder indirekt mit einem Ereignis in Beziehung stehenden Kausalverhältnisse sind die Bedingungen des Ereignisses. Sie sind in notwendige und zufällige, wesentliche und unwesentliche zu differenzieren. Dabei ist es nicht leicht, die wesentliche Bedingung herauszufinden, die das Ereignis bestimmt. Sie bezeichnen wir als Ursache.

Die Ursachenvielfalt des Aristoteles und der Scholastik wurde in der Laplaceschen Erkenntnisstufe erheblich eingeschränkt. Laplace meinte, daß der gegenwärtige Zustand des Weltalls eine Wirkung des früheren und Ursache des folgenden sei. Das führte zum Laplaceschen Dämon. "Eine Intelligenz, der in einem gegebenen Zeitpunkt alle in der Natur wirkenden Kräfte bekannt wären und ebenso die entsprechenden Lagen aller Dinge, aus denen die Welt besteht, könnte, wenn sie umfassend genug wäre, alle diese Daten der Analyse zu unterwerfen, in einer und derselben Formel die Bewegungen der größten Körper des Weltalls und die der leichtesten Atome zusammenfassen; nichts wäre für sie ungewiß, und die Zukunft wie die Gegenwart wäre ihren Augen gegenwärtig." (Laplace 23, S. 1f.) Die Kausalstruktur wäre voll durchschaubar, wenn folgende Voraussetzungen existieren: Jedes komplexe System besteht aus unteilbaren kleinsten Teilchen, die schwer sowie träge sind und konzentriert den Raum erfüllen. Die Bewegung der Elemente eines System bestimmt vollständig die Bewegung des Systems. Die Bewegungsgleichungen der klassischen Mechanik sind die Gesetze des Verhaltens dieser Systemelemente.

Verfolgt man die Mechanisierung des Weltbilds, dann wirkt sich diese Haltung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in den Arbeiten vieler Naturforscher aus. Helmholtz z. B. beurteilte den Fortschritt der Naturwissenschaften nach dem Maß, "in welchem die Anerkennung und die Kenntniss eines alle Naturerscheinungen umfassenden ursächlichen Zusammenhangs fortgeschritten ist ... Denn eine Naturerscheinung ist physikalisch erst dann vollständig erklärt, wenn man sie bis auf die letzten ihr zu Grunde liegenden und in ihr wirksamen Naturkräfte zurückgeführt hat." (Helmholtz 7, S. 377) Die einheitliche Ordnung der Welt schien erkennbar, da allein die Bewegungen letzter unteilbarer Teilchen, die die Massenpunkte der klassischen Mechanik repräsentierten, sie bestimmten. Damit wurde die Ursachenvielfalt eingeschränkt. Heisenberg meinte zwar, daß man die causa formalis als Struktur oder den geistigen Gehalt einer Sache bezeichnen könne, betonte aber: "Nur die causa efficiens entspricht etwa dem, was wir heute mit dem Wort Ursache meinen." (Heisenberg 6, S. 24) Bei Laplace war sie jedoch nicht mehr im Sinne einer hervorbringenden Ursache zu verstehen. Diese brauchte man nicht oder nur als Anstoß für das mechanisch ablaufende Weltuhrwerk. Das Ursache-Wirkungs-Verhältnis wurde auf den gesetzmäßigen mechanischen Ablauf reduziert. Wir können deshalb die Laplacesche Erkenntnistufe der Kausalität auch als einfache Ablaufkausalität bestimmen, in der das Geschehen vorausbestimmt und voraussagbar war. Die Frage nach dem Warum wurde nicht mehr gestellt. Es reichte, Abläufe zu kennen. Wissenschaft löste Warumfragen in Wiefragen auf und beantwortete sie mit der Erkenntnis von Gesetzen und wesentlichen Kausalbeziehungen, was neue Warumfragen auslöste, die entweder Philosophie und Religion zugeschoben oder als neue Wiefragen behandelt wurden.

Voltaire kritisierte Aristoteles und seine Anhänger, die unverständliche Worte wie Entelechie und substantielle Formen für unbegreifliche Dinge gebraucht hätten, denn Ursprünge und Wesen der Dinge blieben uns verschlossen. "Hauptsache ist, daß wir uns der Werkzeuge, die die Natur uns gegeben hat, vorteilhaft bedienen, wenn wir auch nie die innere Struktur dieser Werkzeuge ergründen werden. Archimedes hat sich der Spannkraft in wunderbarer Weise bedient, ohne zu wissen, was sie eigentlich ist. Wahre Physik besteht also in der richtigen Bestimmung aller Wirkungen. Die letzten Ursachen werden wir erkennen, wenn wir Götter sind. Uns ist gegeben zu rechnen, zu wägen, zu messen und zu beobachten. Das ist Naturphilosophie, fast alles übrige ist Spekulation." (Voltaire 30, S. 158) Wir sehen also einerseits eine Zuspitzung der Problematik auf den Umgang mit Prozessen, deren Ablauf durch die mechanischen Bewegungsgleichungen bestimmt ist und die durch Beobachtung, Messung und Experimente genauer im Wie ihres Ablaufs erkannt werden, ohne die Frage nach dem Warum zu stellen. Das korrespondierte andererseits mit der Haltung von Kant, nach der alle Veränderungen nach dem Gesetz der Verknüpfung von Ursache und Wirkung geschehen. (Kant 21, A 211) Kant hatte, nach Heisenberg, "im Grunde doch an vielen Stellen einfach die philosophischen Konsequenzen aus der Entwicklung der Naturwissen-schaften seit Newton" gezogen. (Heisenberg 6, S. 25) Die Physik und Astronomie implizierten ein Wissenschaftsverständnis, nach dem die mechanischen Gesetze aller komplexen Vorgänge zu suchen und mathematisch zu formulieren seien. Alles andere sei keine Wissenschaft. 1786 bemerkte Kant, "daß in jeder besonderen Naturlehre nur soviel eigene Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist." (Kant 22, S. 470) Er orientierte so auf die axiomatisierte Theorie. Chemie könne "nichts mehr als systematische Kunst oder Experimentallehre, niemals aber eigentliche Wissenschaft werden, weil die Principien derselben ... der Anwendung der Mathematik unfähig sind." (Kant, 22, S. 471)

1748 meinte David Hume, daß es unmöglich sei, "eine richtige Definition der Ursache zu geben, ohne etwas ihr Äußerliches und Fremdes hineinzuziehen." (Hume 20, S. 90) Für Hume blieb von der Kausalität nur das post hoc, statt des propter hoc. Sie sei brauchbare Gewohnheit Zeitfolgen als Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu betrachten. Kant nahm diese Haltung auf, um sie durch seine Auffassung von der allgemeinen Gültigkeit des Kausalgesetzes zu ergänzen. Zur skeptischen Haltung Humes meinte er, sie sei "ein Ruheplatz für die menschliche Vernunft, da sie sich über ihre dogmatische Wanderung besinnen und den Entwurf von der Gegend machen kann, wo sie sich befindet, um ihren Weg fernerhin mit mehrerer Sicherheit wählen zu können, aber nicht ein Wohnplatz zum beständigen Aufenthalte; denn dieser kann nur in einer völligen Gewißheit angetroffen werden, es sei nun der Erkenntnis der Gegenstände selbst oder der Grenzen, innerhalb denen alle unsere Erkenntnis von Gegenständen eingeschlossen ist." (Kant 21, A762) Hegel hielt das Problem der Kausalität für marginal im Vergleich mit den dialektischen Wechselbeziehungen. Für Engels war die Wechselwirkung die wahre causa finalis. "Erst von dieser universellen Wechselwirkung kommen wir zum wirklichen Causalitätsverhältniß. Um die einzelnen Erscheinungen zu verstehn, müssen wir sie aus dem allgemeinen Zusammenhang reißen, sie isolirt betrachten, und da erscheinen die wechselnden Bewegungen, die Eine als Ursache, die Andre als Wirkung." Engels 4, S. 24) Engels kritisierte den Laplaceschen Determinismus wegen der Leugnung des Zufalls. Wenn der Zufall, wie er sich in einer konkreten Erbsenschote mit Dicke und Härte der Schale, Anzahl und Größe der Erbsen und vielen weiteren individuellen Besonderheiten ausdrücke, auf Notwendigkeit reduziert würde, dann würde die Verfolgung der rückwärtigen Kausalverkettung dieser einen Schote zu einer unlösbaren Aufgabe und so die Wissenschaft zur Spielerei verdammt, argumentierte Engels, der mit Hegel den Zufall als Erscheinungsform der Notwendigkeit faßte und Wissenschaft auf die Suche nach Gesetzmäßigkeiten orientierte. (Engels 4, S. 138f.)

Die Laplacesche Denkweise kulminierte in den Forderungen von Emil du Bois Reymond, der 1882 in der Berliner Akademie dem physikalischen Chemiker Hans Landolt zum Beispiel des Umlagerns der Atome beim Übergang von einem Chlorknallgas-Faden zu einem Chlorwasserstoff-Faden sagte: "Die mathematisch-mechanische Darstellung solch eines einfachsten chemischen Vorganges dürfte die Aufgabe sein, die der Newton der Chemie anzugreifen hätte. Ihre Lösung wäre der Idee nach der Stein der Weisen, denn jene mathematische Chemie kennt keine Qualitäten mehr; wie denn in Sir William Thomsons kühnem Versuche, die Verschiedenheit der Atome durch verschiedene Verknotung von Wirbelringen zu erklären, die Qualitäten beseitigt sind." (Physiker über Physiker, 27, S. 129) Eine Kausalität ohne Qualitäten führt den Ursachenbegriff in der Vielfalt ad absurdum, denn es bedarf dann nur quantitativer Bestimmungen von Massepunkten als Repräsentanten der die komplexen Systeme konstituierenden Teilchen. Diese Position erwies sich als unhaltbar. Sie konnte den objektiven Zufall und die Entstehung von qualitativ Neuem nicht erklären, nannte als Ideal exakter Wissenschaft die Reduktion physikalischer Beziehungen auf die klassische Mechanik und sah Gesetze erst als erkannt an, wenn sie als Differentialgleichungen formuliert waren. (Hörz 14) Die nicht-lineare Denkweise von Aristoteles war linearisiert worden. Ein neuer Übergang zur nicht-linearen Denkweise, die mit der Bohrschen Erkenntnisstufe der Kausalität verbunden ist, erwies sich als erforderlich.

3. Der Übergang von der linearen zur nicht-linearen Denkweise

Die Bohrsche Erkenntnisstufe der Kausalität ist mit dem Übergang von der klassischen zur modernen Physik in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts und mit der Kritik linearen Denkens im Mechanizismus oder klassischen Determinismus verbunden. Gott würfle nicht, war die Haltung von Albert Einstein. 1920 kam es in Berlin zur Diskussionen zwischen Einstein und Bohr. Einstein sah die von ihm selbst in die Strahlungstheorie eingeführten Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen als Provisorien an, während Bohr Prinzipielles damit verband. (Röseberg, 28, S. 128) Kausalität in vereinfachter Form als notwendige Verwirklichung einer Möglichkeit unter wesentlich gleichen Bedingungen war Grundlage linearen Denkens, in dem Ablauf, Kausalität, Gesetz, Vorausbestimmtheit und Voraussagbarkeit zukünftiger Prozesse identisch sind. Dagegen richteten sich Erkenntnisse der Chemie und Biologie und dann der Quantenmechanik. Der Mechanizismus konnte die Entstehung von Neuem nicht erklären. Er leugnete die Existenz des Zufalls.

Die Konsequenzen aus der Bohrschen Erkenntnisstufe als einem ersten wichtigen Schritt zur Überwindung eines vereinfachten Kausaldenkens sind theoretisch noch nicht voll gezogen. Die Alternative, für das Verhalten komplexer Systeme mit intern bedingter Strukturbildung entweder Kausalität oder Teleologie anerkennen zu müssen, ist erst noch theoretisch zu überwinden. Philosophisch kann man über die Existenz von Potentialitäten (Möglichkeitsfeldern) zu einer theoretischen Lösung kommen, die in ihrer Bedeutung für die Naturwissenschaften zu testen ist.

Wichtig für den Übergang von der linearen zur nicht-linearen Denkweise sind die Forschungen zur Selbstorganisation. So zeigt sich einerseits in der konzeptionellen Position zur Bildung von Strukturen in komplexen Systemen durch Selbstorganisation ein möglicher Zugang zu einem generellen Mechanismus für die Enstehung von Neuem in qualitativ unterschiedenen Systemen. Andererseits hat jedes Struktur- und Entwicklungsniveaus seine Spezifik und die Transformationen von einem Niveau in das andere ist erst in Umrissen bekannt. Fragen nach den Kriterien für Neues und Höheres entstehen, die nur durch Erkenntnisse über den Mechanismus der Genese, über die Selbstorganisation, in der Neues entstehen kann, beantwortet werden können. Auf jeden Fall ist eine enge Fassung des Kausalbegriffs unter dem Aspekt der Selbstorganisation nicht haltbar, da die komplexen Prozesse nicht in kausale Beziehungen aufzulösen sind. Helmholtz wollte komplexe Systeme auf die Bewegungsgleichungen ihrer Elemente reduzieren, was einen Aspekt der linearen Denkweise ausmacht. Die Forderung nach einer einheitlichen Erklärung bleibt, aber die von Helmholtz angesprochenen Kräfte sind mehr im Sinne von Formen, von wesentlichen Konstanten, von Existenzweisen zu verstehen, wie sie in den kausalen, gesetzmäßigen Beziehungen, und als probabilistische Übergänge in den Mechanismen der Selbstorganisation existieren.

Heisenberg betonte schon 1942 in seiner Arbeit über die "Ordnung der Wirklichkeit", daß die Behauptung, die Bohr'sche Theorie führe das chemische Verhalten auf die Bewegung der Elektronen zurück, eigentlich lauten müsse: Die Quantentheorie habe gezeigt, "daß die chemischen Gesetze einen selbständigen neuen Zusammenhang darstellen, der nicht durch die mechanischen Bewegungen kleinster Teilchen erklärt werden könne." (Heisenberg, 6a, S. 252) Der philosophische Reduktionismus, der chemische Prozesse auf die mechanische Bewegung kleinster Teilchen zurückführen wollte, war mit der Quantentheorie prinzipiell widerlegt. Sie zeigte, daß komplexe Systeme nicht aus der Summe ihrer Elemente und deren Reaktionen zu erklären sind. Die Konsequenzen aus dieser Einsicht in die Ordnung der Wirklichkeit sind kaum bis zu Ende gezogen worden. Wenn sie ernst genommen werden, dann hat die philosophische Analyse der chemischen Prozesse große Bedeutung für die Philosophie der Physik und Biologie, über die weiter zu forschen ist. Chemische Prozesse sind Realisierungen von physikalischen Möglichkeiten unter bestimmten komplexen Bedingungen, weshalb Physik zwar eine Rahmentheorie chemischen Verhaltens liefert, aber die Erklärung der chemischen Prozesse nicht geben kann. Gleichzeitig liefert die Chemie eine Rahmentheorie für die biotische Evolution. Die methodische Beherrschung der Komplexität ist weiter zu entwickeln.

Philosophie hat sich als Kritik überholter Denkweisen zu bewähren. Mit der Selbstorganisation wird auf die Nicht-Linearität der Zusammenhänge in komplexen Systemen verwiesen. In der linearen Denkweise, die mit dem Laplaceschen Dämon verbunden war, ergab sich theoretisch, daß nichts Neues entstehen konnte, es sei denn, es wäre vorher schon präformiert in der Ursuppe vorhanden gewesen und nur noch nicht bekannt oder es würde durch immaterielle, also wissenschaftlich nicht erfaßbare, Kräfte geschöpft. Neue Positionen versuchen mit immateriellen Pilotfeldern die offensichtlich vorhandene Steuerung von Prozessen zu erklären. Es könnte jedoch die Information als reflektierende und steuernde Struktur eine Rolle bei der Strukturbildung in der Selbstorganisation spielen und so als potentielle Ursache künftiger Wirkungen existieren.

Nicht-Linearität selbst hat verschiedene Aspekte, die es in der interdisziplinären Diskussion von neuen Erkenntnissen zur Selbstorganisation genauer zu bestimmen und präziser zu fassen gilt. Dazu gehören die Kritik des linearen Kausaldenkens, die Aufhebung der Reduktion komplexer Systeme auf ihre Elemente und die Erklärung für die Entstehung von Neuem ohne Leugnung der Kausalität und unter Erforschung der Selbstorganisation.

Führt man mit der Quantentheorie den objektiven Zufall in die Naturerklärung ein, dann ist die Einschränkung der Kausalität auf lineare notwendige Zusammenhänge sicher aufzuheben. Nicht-Linearität ist mit der Existenz des objektiven Zufalls, mit den wirklichen probabilistischen Übergängen von einem Zustand in den anderen und mit der Wechselwirkung verbunden, die zwar das analytische Herauslösen bestimmter Beziehungen aus dem Beziehungsgeflecht durch das Denken gestattet, aber sich dann bemerkbar macht, wenn komplexe Ursache-Wirkungs-Relationen auf einen Typ eingeschränkt werden.

Linearität des Geschehens wird angenommen, wenn komplexe Systeme auf das Verhalten ihrer Elemente reduziert werden. Schon die Thermodynamik zeigte, daß Temperatur nicht auf die kinetische Energie von Teilchen zurückzuführen ist. Komplexe Systeme in ihrer Selbstorganisation sind nicht auf kausale Beziehungen von Elementen zu reduzieren. Sie bedürfen ihrer eigenen Erklärungskomponenten. Es geht um die Einsicht in die Systemgesetze, die das Verhalten des Systems bestimmen. Das führt wiederum zur Frage nach der theoretischen Beherrschung der Komplexität, die ein Aspekt der Nicht-Linearität des Geschehens ist. Forschungen zur Selbstorganisation erfassen sie immer besser und es wäre interessant, die in der Komplexität begründete Nicht-Linearität auch in der Nähe vom Gleichgewicht zu suchen. Gleichgewicht ist, wie Linearität, selbst eine Idealisierung, die wesentliche Seiten der Prozesse hervorhebt und die Schwankungen um das Gleichgewicht als unwesentlich vernachlässigt. Vielleicht könnte hier Unwesentliches als wesentlich erkannt werden. Ein weiterer Aspekt linearen Denkens ist das Negieren des Qualitätswandels und der Entwicklung. Jede gegenwärtige Struktur ist geronnene Entwicklung, denn sonst gäbe es Strukturwunder, deren Enstehen bedingungslos wäre Damit hat jedes System in seiner Strukturierung eine Geschichte.

Der Übergang zur Bohrschen Erkenntnisstufe der Kausalität führt zu Fragen, die den Mechanismus des Verhaltens und der Steuerung der Elemente in Systemen betreffen. Das Kausalprinzip bleibt in seiner allgemeinen Form, nach der Veränderungen im Geschehen verursacht sind, bestehen, aber die Art der Veränderung muß neu bestimmt werden. Bifurkationen sind nicht einfach in isolierte Kausalbeziehungen aufzulösen. In der Wirklichkeit gibt es keine Kausalbeziehung an-sich, sondern immer Wechselwirkung, auch keine Linearität an-sich, jedoch linearisierte Prozesse, die wir besser mit unseren Erkenntnismitteln erfassen. Es gibt aber lineare und nicht-lineare Denkweisen. Anerkennen wir objektive Nicht-Linearität in einer nicht-linearen Denkweise, so schließt das die Linearisierung der Prozesse durch die Erkenntnis nicht aus. Man kann das mit der Herauslösung von Kausalbeziehungen aus der Wechselwirkung vergleichen. Insofern tragen lineare Gleichungen Erkenntnischarakter, wenn wir uns philosophisch darüber klar sind, daß sie Vereinfachungen der Wirklichkeit darstellen, die für die Erkenntnis wichtig sind.

4. Spezialfall: Alwin Mittasch über Robert Mayer

Einen Spezialfall in der Diskussion um Kausalität stellt Alwin Mittasch dar. Er war einer der wenigen Chemiker, die sich mit prinzipiellen philosophischen Fragen ihres Fachs befaßten und gehörte nicht zu einer der Fronten, die entweder Determinimus oder Indeterminimus als bewiesen betrachteten. Er hielt am Kausalgesetz fest und suchte nach den statistischen Mechanismen des Geschehens. Sein Kausalbegriff sollte generell gelten und nicht nur die Naturwissenschaften umfassen. Sein Werdegang prädestinierte ihn für die Behandlung prinzipieller Fragen, denn der Chemiker Alwin Mittasch (1869 - 1953) war erst Lehrer und beschäftigte sich intensiv mit Philosophie. Er studierte dann von 1896 bis 1901 Pädagogik und Chemie an der Universität Leipzig und promovierte bei Ostwald mit einer Arbeit "Zur chemischen Dynamik des Nickel-Kohlenoxyds." Nach kurzer Zeit als Assistent bei Ostwald ging Mittasch zur BASF und arbeitete an der großtechnischen Realisierung des Haber-Bosch-Verfahrens mit. Er suchte nach einem billigen Ammoniakkatalysator und fand einen aus einer Mischung von Eisen, Tonerde und Alkali. Seine theoretischen und praktischen Einsichten in die Chemie verband er mit dem philosophischen Wissen und betrachtete Katalyse und Determinismus. Die katalytische Kausalität war für ihn eine Form der Anregungs- oder Ausstoßkausalität. (Mittasch 24 ) Ihm war klar, daß die katalytischen Vorgänge nicht mit der Kausalität von Laplace zu erfassen waren, denn dafür galt der Grundsatz, causa aequat effectum. Der Katalysator war nicht die direkte und alleinige Ursache der Wirkung, sondern eher Bedingung des Wirkens.

Mittasch setzte sich intensiv mit historischen und aktuellen Kausalitätsauffassungen auseinander und suchte nach einem freieren Kausalbegriff, den er bei Julius Robert Mayer fand. Mit der Untersuchung zu Mayer wollte er auch Ostwald danken, dessen Vorlesung über Energetik 1894 für ihn der Anstoß war, um von der pädagogisch-philosophischen Arbeitsrichtung zur physikalischen Chemie zu wechseln. Seine Arbeiten zur Katalyse richteten den Blick auf die Auslösungskausalität. "Erhaltungs- und Auslösungskausalität, konservative und impulsive Tendenzen, entsprechend den komplementären Grundbegriffen Sein und Werden, sind nach R. Mayer die Hauptformen, in denen das allgemeine Kausalpostulat als Denkerwartung seine Befriedigung finden kann, von Physik und Chemie über die Biologie bis zu den Kultur- und Sozialwissenschaften." (Mittasch 25, S. III) Mittasch ging vom biologischen Ursprung des kausalen Denkens aus, denn Naturwesen seien zur Erhaltung des Lebens in die Naturkausalität gestellt und auch der Mensch erlebe zuerst Kausalität, ehe er darüber nachdenke. Er könne nur zielgerichtet handeln, wenn er nicht nur die Folgen seines Handelns bedenke, sondern auch die Naturabläufe als Wirkungen bestimmter Ursachen erkenne, um sich entsprechend zu verhalten. Insofern gehört nach Mittasch zur Kausalität der Zeitpfeil, der schon bei Aristoteles eine Rolle spielte.

Als Entwicklungsstufen des Kausalbegriffs sah Mittasch das Tun und Bewirken in der aktiv-personalen Kausalität, dann den Übergang zur sachlichen Kausalität, bei der eine Sache Ursache, Voraussetzung, notwendige Bedingung einer anderen Sache ist und zuletzt die neutral-verbale Kausalität, nach der Geschehen zwingend zu neuem Geschehen führe. (Mittasch 25, S. 8f.) Das Moment der Zeitfolge ist dabei ein zwar notwendiges aber nicht hinreichendes Merkmal der Kausalität. "Stellt nicht jegliche konkrete Zeitfolge zugleich eine Wirkungsfolge dar, so können sich andererseits abstrakte Kausalismen von den Fesseln der Zeit weitgehend befreien. Das gilt insbesondere von dem Funktionsbegriff oder dem Begriff funktioneller Abhängigkeit, von dem einst Ernst Mach meinte, daß er den Ursachbegriff ganz überflüssig machen könne." (Mittasch 25, S. 12) Mittasch unterschied Abstufungen und Rangordnungen der Kausalismen, die alle in Wechselwirkung eingeordnet seien. Deshalb müsse die Auslöseursache, die oft als eigentliche oder die Wirkungsursache bezeichnet würde, von den Bedingungen unterschieden werden. (Mittasch 25, S. 17) In der Entwicklung der Kausalauffassung zeige sich ein Doppelaspekt. Zum einen ging es um eine mathematisch faßbare Gesetzlichkeit als Ausdruck der Naturkausalität. Sie gipfelte in dem Energierhaltungssatz als allgemeinster physikalischer Kausalität und zum anderen wurde die dynamische Kausalität durch eine dogmatisch eingeengte Kausalitätsauffassung ergänzt. (Mittasch 25, S. 34f.) Als Konsequenz von Mayers Auffassung stellte Mittasch fest, "daß in der Erhaltung der Materie einerseits, der Energie andererseits, die allgemeine Kausaldefinition 'causa aeqat effectum' ihre generelle Erfüllung findet, und daß der Begriff von Ursache und Wirkung in dem Prinzip der Erhaltung von Materie einerseits, Energie andererseits zunächst vollkommen aufgeht." (Mittasch 25, S. 44)

Damit wurde ein Problem für spätere Diskussionen deutlich. Erhaltungssätze berücksichtigen den Zeitpfeil der Kausalität nicht. Erst der zweite Hauptsatz der Thermodynamik von der Erhaltung der Entropie brachte mit dem Verbot des Übergangs der Wärme von einem kälteren zu einem wärmeren Körper, also eines perpetuum mobile zweiter Art, die Zeitrichtung wieder in das Naturgeschehen, später ergänzt durch Einsichten in den Urknall des Universums. Faßt man den Energierhaltungssatz nicht nur quantitativ, sondern auch als Erhaltung der qualitativen Energieformen, dann gibt es ständig Auf- und Abbauprozesse. In diesem Sinne wurde die Entropie durch Ektropie, die eine Steigerung des Potentials ausdrückte, ergänzt. Mittasch sah diesen Weg, dem Leben eine Sonderstellung einzuräumen, als verfehlt an. Er meinte, "wenn es eine Art 'Ektropie' gibt, so liegt diese nicht in der Nachbarschaft der 'Energie', sondern auf einer höheren Ebene, und zwar nicht hinsichtlich der Erhaltungs-, sondern der Anstoß- und Führungskausalität." (Mittasch 25, S. 102) In diesem Sinne sprach Schrödinger bei der Erklärung des Lebens von negativer Entropie. (Schrödinger 29, S. 76) Schrödingers Prinzip der Ordnung aus Ordnung war Basis für Forschungen zur Selbstorganisation. (Hörz, 17 ) Negentropie diente als Maß für die Information, die sich als widerspiegelnde und steuernde Struktur (Hörz 19 ) tatsächlich im Bereich der Führungskausalität findet.

Nach Mittasch kann es zwei Formen der Erhaltung geben, die reale Erhaltung als Individuum und die formale Erhaltung ohne individuelles Weiterbestehen. (Mittasch 25, S. 139) Die zweite Art der Erhaltung macht sie zur reinen Rechengröße. Die daraus sich ergebende philosophische Diskussion um die Energieerhaltung zeigte einen gewissen Widerspruch zwischen erstem und zweitem Hauptsatz der Thermodynamik. So konnte die Zunahme der Entropie als Grundlage für die Hypothese vom Wärmetod des Weltalls genommen werden. Schon Ludwig Boltzmann, der den Zusammenhang von Entropie und Wahrscheinlichkeit mit der Beziehung S = k log W aufdeckte, Einstein nannte sie das Boltzmannsche Prinzip, verwies darauf, daß große Fluktuationen Umkehrprozesse ermöglichen. "Boltzmann hat den unglaublich kühnen Gedanken gefaßt, auch der vom Wärmetod so stark abweichende Zustand unseres Weltalls könne einer riesenhaften Fluktuation zu verdanken sein." (Broda 3, S. 77) Er initiierte ein über die klassische Physik hinausgehendes Denken (Hörz 15, S. 27ff.), denn er hatte mit seinen Überlegungen zur Statistik "maßgeblich zur Einführung einer neuen Sichtweise beigetragen und auch den Höhepunkt seines schöpferischen Schaffens erreicht." (Höflechner 8, S. 78) Die Diskussion über den Wärmetod des Weltalls geht noch weiter. Mit der Entropiezunahme könnte auch eine bestimmte Richtung des Geschehens verbunden werden. Das damit aufgeworfene Problem einer ausgezeichneten Zeitrichtung wird ebenfalls weiter diskutiert. (Hörz, 16, S. 46f.) Beachtet man den Zusammenhang von erstem und zweitem Hauptsatz, dann kann der erste Hauptsatz so interpretiert werden, daß nicht nur die quantitative Erhaltung der Energie zu beachten ist, sondern auch die qualitative Erhaltung der Energieformen, die sich in der Energieumwandlung manifestiert. (Hörz 18 ) Die mit dem zweiten Hauptsatz verbundene Hypothese des Wärmetodes widerspräche dem ersten Hauptsatz mit der qualitativen Erhaltung der Energieformen.

Mittasch nannte die Katalyse die sauberste Form der Auslösungs- oder Anstoßkausalität. (Mittasch 25, S. 143) Neben ihr fand er noch andere Formen, wie die Ganzheitskausalität, bei der es nicht um einzelne Kausalismen von Systemelementen, sondern um die Einwirkungen auf ein System und dessen Reaktion gehe. Mittasch hielt an Kausalität und Determinismus fest, gab aber das Kriterium strenger Voraussagbarkeit auf, wodurch er die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie nicht im Sinne eines Indeterminismus interpretieren mußte. Das Wort Akausalität ist "immer nur ein Hinweis auf bestimmte Schranken unserer Einsicht, zeitweilige oder dauernde, ein schlechter Name für eine gute Sache, ein schlechter Name, weil er immer wieder dahin irreführen kann, daß Gesetzlosigkeit oder Unordnung statt Wohlordnung in der Natur bestehe. Zwar kann über Fassung und Auffassung bestimmter Kausalbegriffe viel und dauernd gestritten werden; die Kausalität als allgemeine Denkforderung der Vernunft bleibt unbestritten." (Mittasch 25, S. 165)

Es taucht nun die Frage auf, ob die Differenzierungen der Kausalität, wie sie Mittasch gab, unbedingt erforderlich sind. Man könnte sicher alle für das Erkennen und Handeln philosophisch wichtigen Probleme in den Kausalbegriff hineininterpretieren. Man müßte ihn dazu nur genügend weit fassen und dann viele Spezifizierungen hineininterpretieren. Mir scheint, daß man dieses Problem dadurch umgehen kann, daß man die Kausalität als grundlegende Form des Zusammenhangs von Objekten und Prozessen mit anderen Formen verbindet, um die Wirklichkeit in ihrer Differenziertheit besser erkennen zu können. Dazu ist die mechanistische Einschränkung der Kausalität, durch Erkenntnisse zur Komplexität sowieso erforderlich, aufzuheben. Während eine indeterministische Auffassung die Durchbrechung des Kausalzusammenhangs annimmt, könnte dagegen ein durchgängiger Kausalzusammenhang mit verborgenen Parametern anerkannt werden. Den theoretischen Ausweg bietet jedoch die Erweiterung des Kausalbegriffs in einem weichen oder dialektischen Determinismus Hörz, 13 ), in dem Determinismus als eine Theorie des objektiven Zusammenhangs gefaßt wird, die die Bedingtheit (Kausalität) und Bestimmtheit (Gesetze) der Objekte und Prozesse in ihrer Komplexität erklärt und dabei Kausalität als elementare und fundamentale Vermittlung des Zusammenhangs faßt.

5. Kausalität als Erkenntnis- und Handlungsgrundlage

Allgemein ist Kausalität als Verbindung von Ursache und Wirkung zu fassen, wobei ein Ereignis andere Ereignisse hervorruft oder Einwirkungen auf ein System zu Veränderungen im System führen. Das hebt schon die Einschränkung der aristotelischen Ursachen auf die notwendige Verwirklichung einer Möglichkeit im mechanistischen Determinismus auf. Es kommt zur Unterscheidung zwischen Kausalgesetz und Kausalbeziehungen. Das Kausalgesetz enthält keine Aussagen über die Art der Kausalbeziehungen, sondern stellt nur fest, daß Wirkungen verursacht sind. Eine bestimmte Kausalbeziehung ist so Einwirkung auf ein System als Ursache, die durch den vorhandenen Bedingungskomplex zu einem Möglichkeitsfeld führt, aus dem Möglichkeiten realisiert werden. Diese Einwirkung als Anfangsursache führt zu einem Ergebnis des Kausalprozesses als Endwirkung. In Grenzfällen kann die Anfangsursache notwendig die Endwirkung hervorrufen. Das ist der Fall, wenn eine direkte Beziehung zwischen Anfangsursache und Endwirkung existiert, etwa beim Brechen eines Schusses nach dem Ziehen des Abzugs. Das gilt jedoch nur, wenn das System einwandfrei funktioniert. So sind für den direkten Zusammenhang zwischen Anfangs- und Endwirkung wiederum eine Vielzahl von Kausalbeziehungen im Mechanismus der Schußwaffe erforderlich.

Das Problem liegt schon in der Definition der Notwendigkeit. Es sind verschiedene Formen der Notwendigkeit zu unterscheiden. Man kann Notwendigkeit als einen Prozeß fassen, in dem eine Endwirkung durch die Gesamtheit der Bedingungen bestimmt ist, was sich nur als post festum feststellbar erweist. Die Frage ist oft: Hätte es anders sein können? Wer einem Fatalismus anhängt, ein ewiges Schicksal anerkennt, wird die Frage verneinen und braucht dann nicht weiter nachzudenken. Er ist Spielball des Geschehens und eigentlich nicht verantwortlich für seine Handlungen zu machen. Die Umgebung läßt sich jedoch nicht abhalten, für falsches Handeln Vorwürfe zu erheben. Die angenommene freie Entscheidung in einem Bedingungskomplex basiert auf der Vielzahl von Kausalbeziehungen, die sich als notwendig oder zufällig erst durch ihren Platz im komplexen Geschehen erweisen. Zufällig ist das, was möglich ist, aber sich nicht unbedingt durchsetzt und das, was als individueller Spielraum im notwendigen Geschehen einer Gesamtheit existiert. Deshalb ist bei nicht realisierten Möglichkeiten und bei der Durchsetzung der Notwendigkeit in zufälligen Ereignisse die Frage zu stellen, in welcher Beziehung ein Ereignis notwendig oder zufällig sei, unabhängig davon, daß es auf der Grundlage von Kausalbeziehungen überhaupt erst möglich ist.

Notwendigkeit kann als direkte Bewirkung eines Ereignisses, wie Schuß und Treffer gesehen werden, wenn komplexe Mechanismen beachtet werden, die selbst in den einfachsten Ereignissen existieren. Allgemeine Notwendigkeit ist Gesetzmäßigkeit: Unter gleichen wesentlichen Bedingungen tritt das gleiche Ereignis ein. Fallende Dachziegel töten z. B. den getroffenen Menschen. Aber Gesetze als allgemein-notwendige, d. h. reproduzierbare Beziehungen, die der Erkenntnis als Grundlage sachkundiger Entscheidungen dienen, sind keine unausweichlichen Vorgänge. Sie bieten Spielräume. Eben das wird in der statistischen Gesetzeskonzeption erfaßt. Ein statistisches Gesetz als ein allgemein-notwendiger und wesentlicher Zusammenhang umfaßt eine Systemmöglichkeit, die sich unter Systembedingungen notwendig verwirklicht, aber zugleich für das Verhalten der Elemente ein Möglichkeitsfeld konstituiert, aus dem sich Möglichkeiten mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit realisieren. Die Struktur der Kausalität ergibt sich dabei als inhaltlich und zeitlich gerichtete Vermittlung des Zusammenhangs, die Grundlage für Erkenntnis und Gestaltung ist, denn ohne reale Zusammenhänge der Objekte und Prozesse wären Einsichten und Zielsetzungen unmöglich. Notwendigkeit und Zufall ergibt sich dann aus einem Komplex von Kausalbeziehungen, denn eine isolierte Beziehung gibt es nicht. Kausalität an-sich existiert nicht. Es gibt immer einen Komplex von Zusammenhängen, was gleich ist mit der Komplexität der existierenden Kausalbeziehungen eines Systems.

Das führt zu weiteren Formen des Zusammenhangs. Kausalität drückt nur den objektiven Zusammenhang der Ereignisse aus. Man könnte das Gedankenexperiment machen, sich einen Bereich vorzustellen, der nicht mit anderen zusammenhinge. Leugnet man so Kausalität. gerät man in den Bereich der nicht fundierbaren Spekulation, denn was nicht wirkt, existiert nicht. (Hörz, 11 ) Wir laufen jedoch der Kausalität immer nach, ohne sie je zu erreichen. Wir suchen Kausalität und finden Gesetze sowie wesentliche Kausalbeziehungen.

Jeder Komplex von Kausalbeziehungen gibt als System die Möglichkeit von verschiedenen Formen des Zusammenhangs: Dazu gehören die Verursachung von Wirkungen aber auch die Information als steuernde Struktur (wesentliche Kausalbeziehun-gen als causa efficiens), die Formierung des Inhalts (causa formalis), die Verwirklichung von Möglichkeiten (causa finalis mit relativen Zielen aus genetischen Programmen und Entwicklungszyklen), Selbstorganisation auf der Grundlage bestimmter Stoffeigenschaften (causa materialis). Diese Zuordnungen sind auch anders möglich, denn Information kann als widerspiegelnde Struktur causa materialis und als steuernde Struktur causa efficiens sein. Selbsorganisation als Strukturbildung und so als Mechanismus des Geschehens, in dem Neues entsteht, gehört auch der causa efficiens an. Die Einordnung in die causae des Aristoteles ist nicht eindeutig vorzunehmen. Diese Formen des Zusammenhangs zeigen jedoch, daß es, statt das nicht-lineare komplexe Geschehen durch spezielle Differenzierung der Kausalität erfassen zu wollen, theoretisch effektiver ist, die Bedingungsvielfalt nicht in den begrifflichen Rahmen der Kausalität allein zu zwingen, sondern die verschiedenen Formen des Zusammenhangs und die statistische Struktur der Gesetzmäßigkeiten zu untersuchen, um sowohl der wirklichen Nicht-Linearität realen Geschehens, als auch der Wahrscheinlichkeitstruktur bei der Verwirklichung von Möglichkeiten aus Möglichkeitsfeldern gerecht zu werden.

6. Fallbeispiele

Mit zwei Beispielen, der Schrödingergleichung und Diskussionen zur Kausalität in der Rechtsprechung, soll die Relevanz dieser dialektisch-deterministischen Auffassung zu Kausalität und den Formen des Zusammenhangs verdeutlicht werden. Grund vieler Diskussionen um Kausalität waren die Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen. (Hörz, 10 Eine Voraussagbarkeit von Ereignissen, wie sie in der mechanistischen Kausalität angenommen wurde, war nicht mehr gegeben, weil die Zustandsbestimmungen Ort und Impuls eines Teilchen nicht mehr gleichzeitig exakt meßbar waren. Diese Problematik soll hier nicht weiter behandelt werden. (Hörz 9 ) Die Schrödingergleichung gibt jedoch für das Verhalten von Teilchen beim Durchgang durch einen Doppelspalt eine Verlaufskurve, nach der auftreffende Teilchen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Ort erreichen können, obwohl die Bahn eines Teilchens nicht verfolgt werden kann. Im Zusammenhang mit der statistischen Gesetzeskonzeption zeigt sich, daß die Verteilung der Teilchen auf dem Schirm dann notwendig auftritt, wenn genügend Teilchen durch den Spalt geflogen sind. Es handelt sich also um die notwendige Verwirklichung der Systemmöglichkeit unter bestimmten Systembedingungen. Für das Verhalten der Teilchen ist daraus jedoch keine eindeutige Voraussage möglich. Sie bewegen sich im Rahmen der Systemmöglichkeit und haben, je nach der Verteilungskurve, Wahrscheinlichkeiten für das Auftreffen auf einem bestimmten Ort. Man kann also von der stochastischen Verteilung der Möglichkeiten des Auftreffens in einem Möglichkeitsfeld sprechen, die für den Einzelfall eine probabilistische Verhaltensweise durch eine Übergangswahrscheinlichkeit enthält.

Das statistische Gesetz hat mit der notwendigen Verwirklichung der Systemmöglichkeit erstens einen dynamischen Aspekt, der der dynamischen Kausalität gleicht. Unter Systembedingungen wird eine Möglichkeit notwendig, d. h. gesetzmäßig, verwirklicht. Zweitens umfaßt der stochastische Aspekt des Gesetzes Möglichkeitsfelder für das Verhalten der Elemente, wobei bestimmte Möglichkeiten durch Realisierungswahrscheinlichkeiten ausgezeichnet sind, die die stochastische Verteilung ergeben. Für den Einzelfall existieren Übergangswahrscheinlichkeiten von einem Zustand in den anderen, was drittens als probabilistischer Aspekt des Gesetzes bezeichnet werden kann. Manche Formulierungen von Gesetzen umfassen nur einen der Aspekte. So interessiert beim Fallgesetz nur der dynamische Aspekt. Die vorhandenen stochastischen und probabilistischen Aspekte, die Schwankungen um den freien Fall im Vakuum durch reale Bedingungen umfassen, werden vernachlässigt. Das Fallgesetz kann so als potentielles statistisches Gesetz gesehen werden, während die Schrödingergleichung ein quantitativ bestimmtes statistisches Gesetz wäre, da die stochastischen Verteilungen sich mathematisch ableiten lassen. Man könnte nun für verschiedene erkannte Regularitäten oder formulierte Gesetze, deren dynamischer Aspekt bekannt ist, weil die notwendige Verwirklichung einer Möglichkeit für das System erkannt ist, Möglichkeitsfelder für das Verhalten der Elemente entdecken und dafür qualitative Bestimmungen wie mehr, gleich oder weniger wahrscheinliche Realisierungen angeben. Das wäre ein qualitativ bestimmtes statistisches Gesetz.

Wir können festhalten: Kausalität ist die Grundlage aller objektiven Regularitäten und Gesetze, da Zusammenhänge existieren müssen, die jedoch nicht im einzelnen auffindbar sind. So sind Aussagen über Gesamtheiten von Elementen nicht davon abhängig, daß wir das Elementverhalten genau kennen. Suchen wir es zu erforschen, so stoßen wir wieder auf Gesetze statistischen Charakters. Wir können etwa erst Regularitäten in Gruppen von Individuen untersuchen und dann das Verhalten eines Indviduums zum Gegenstand machen, ohne je dessen unerschöpfliche Kausalbeziehungen voll zu erfassen. So geben uns Beziehungen in den sich selbst organisierenden Systemen, die wir erkennen, Hinweise auf das Systemverhalten, ohne daß wir damit die Umschlagpunkte des Systems im einzelnen kennen.

Für das Verhalten von Individuen, soweit sie als solche erkennbar sind, besteht die Möglichkeit, wesentliche Kausalbeziehungen zu entdecken. In Diskussionen zwischen Philosophen und Rechtswissenschaftlern in der DDR um die strafrechtliche Verantwortlichkeit spielte das eine Rolle. (Hörz, 12, S. 139ff.) Einer meiner Kollegen Strafrechtler kam in den sechziger Jahren zu mir und meinte, wir müßten uns mit Determinanten des Geschehens genauer befassen, da die Gefahr bestünde, durch falsche Auslegung der Kausalität, die als Grundlage der Schuld geprüft werden müsse, jeden zum potentiellen Töter zu stempeln, wenn er in irgendeiner Weise in eine strafrechtlich relevante Sache verwickelt wäre. Ein Beispiel dazu. Es wurde ein Verantwortlicher für den Arbeitsschutz wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Ein Kranfahrer hatte durch ein nicht verkleidetes Fenster gegriffen, um verklemmte Kabel zu befreien und sich dabei tödlich verletzt. Wir diskutierten darauf Fälle verschiedenster Art nach dem Algorithmus, daß Anfangsursachen, wie das nicht verkleidete Fenster, verschiedene Verhaltensmöglichkeiten ergeben, von denen jede eine bestimmte Wahrscheinlichkeit der Realisierung besitzt. Eine Möglichkeit wird dann unter bestimmten Bedingungen verwirklicht. Die Endwirkung ist also keine direkte Folge der Anfangsursache, sondern durch Bedingungskomplexe und Möglichkeitsfelder vermittelt. In dem genannten Fall war die Bedingung des nicht verkleideten Fensters nicht die direkte Ursache für den Tod. Es lag also beim Arbeitsschutz zwar eine Pflichtverletzung vor, die zur fahrlässigen Tötung erst führte, als der Getötete, selbständig entscheidend, sich über Warnungen hinwegsetzte. In einigen Fällen konnten wir mit unseren Analysen Nachdenken über die Kausalität erreichen. Es gab jedoch auch Richter, die meinten, eindeutige Ursachen würden eindeutige Wirkungen ergeben und die deshalb ohne theoretische Skrupel und Gewissensbisse nach einer einseitigen Kausalauffassung verurteilten.

Das Fallbeispiel der Schrödingergleichung zeigt mögliche heuristische Hinweise für weitere Forschungen durch Kritik der methodologischen Grundlagen einer bestimmten Auffassung von Kausalität. Die Suche nach wesentlichen Kausalbeziehungen in Rechtsfällen bestätigt, daß unterschiedlich verurteilt werden kann, wenn verschiedene Kausalauffassungen eine Rolle spielen, wobei Fehlurteile auf Grund der Anerkennung mechanistischer Kausalität möglich sind. Da es immer wieder Kollegen gibt, die meinen, die Diskussion um Kausalität sei längst erledigt, sollten sie sich, statt allein der abstrakten Diskussion verpflichtet zu sein, mit solchen philosophischen Problemen befassen.

7. Fazit

Als Ergebnis der Überlegungen kann man festhalten:

1. Das Kausalgesetz, nach dem alle Wirkungen verursacht sind, ist prinzipielle Voraussetzung jeder Erkenntnis und des darauf basierenden Handelns. Dagegen ändern sich die Auffassungen zu den Kausalbeziehungen im Laufe der Geschichte, in Abhängigkeit von neuen Erkenntnissen und Erfahrungen, erheblich.

2. Kausalität kann, befreit von der mechanistischen Beschränktheit, als direkte und konkrete inhaltlich und zeitlich gerichtete Vermittlung des Zusammenhangs gefaßt werden, der als Wechselwirkung zu Veränderungen (Wirkungen) führt. die durch innere und äußere Einwirkungen (Ursachen) auf Systeme ausgelöst werden.

3. Kausalität ist Grundlage aller Formen des Zusammenhangs, so der Selbstorganisation mit Strukturbildung als innere Einheit von causa materialis, formalis und efficiens, der Verwirklichung von Möglichkeiten im Zufall bei sich durchsetzender Notwendigkeit im Sinne der causa finalis durch die Existenz relativer Ziele, wobei teleologische Positionen zurückgewiesen und teleonomische Auffassungen begründet werden können und der Information als widerspiegelnder und steuernder Struktur im Sinne der causa formalis und efficiens.

4. Erkannt werden von uns wesentliche Kausalbeziehungen und Regularitäten oder Gesetzmäßigkeiten. Insofern suchen wir nach der Kausalität von Erscheinungen, indem wir Regeln oder Gesetze finden und damit erneut aufgefordert sind, für die Ausnahmen Ursachen zu suchen.

5. Kausalität ist in den verschiedenen Struktur- und Entwicklungsniveaus hierarchisch aufgebaut. Zufälle im Mikrokosmos führen zu Regularitäten im Meso- und Makrokosmos. Jede Theorie eines niedrigeren Entwicklungsniveaus ist Rahmentheorie für das Verhalten der Elemente eines Systems im höheren Ent-wicklungsniveau, ohne dieses Verhalten eindeutig bestimmen zu können. Jedes System hat seine eigenen Systemgesetze, die statistischen Charakter haben.

6. Selbstorgansation dient der Erhaltung, Veränderung und Auflösung von Systemen. Sie charakterisiert den Mechanismus des Geschehens. Die Forschungen zeigen, daß es keine eindeutige Zuordnung von bestimmten Ursachen zu bestimmten Wirkungen gibt. Mit Bifurkationen macht sie auf die Vielfalt von Formen des Zusammenhangs auf der Grundlage von Ursache-Wirkungs-Relationen in einem Ereignis und einem Prozeß aufmerksam.

7. In der Wirklichkeit existieren nur Nicht-Linearitäten, deren Grenzfall Linearitäten sind, nach denen wir zur Vereinfachung unserer Erkenntnis suchen. Man muß sich deshalb stets dieser Vereinfachungen bewußt sein. Insofern gehören zu einer nicht-linearen Denkweise auch linear formulierte Erkenntnisse, während eine lineare Denkweise philosophisch reduktionistisch Systeme auf Elemente, Besonderes auf Allgemeines, Kausalität auf mechanistische Kausalität reduziert und damit Problemreduktionen und Denkhemmnisse aufbaut.

References

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