Graduiertenkolleg Wissensrepräsentation

an der Universität Leipzig


Präsentation und Visualisierung (Heyer, Saupe)

In diesem Schwerpunkt geht es einerseits um die multimediale Präsentation von Wissensinhalten in elektronischen Publikationen, und zwar insbesondere um die Entwicklung einer Metasprache zur Beschreibung von heterogenen Wissensquellen. Zum anderen werden Techniken der Visualisierung untersucht, die für die Darstellung komplexer Wissenszusammenhänge mit großen Mengen von relevanten Daten wesentlich geeigneter sind als deklarative Repräsentationen. Forschungsgegenstand ist hierbei sowohl die Wissenschaftliche Visualisierung (scientific visualization) als auch die Informationsvisualisierung.

Für multimediale Präsentationen von Wissen in elektronischen Publikationen ist die Entwicklung einer Metasprache für die Beschreibung und Integration heterogener Wissensressourcen (Knowledge Ressource Description Language - KRDL) von erheblicher Bedeutung. Ein wesentlicher Mehrwert multimedialer Publikationen ist nur zu erreichen, wenn verfügbare Wissensressourcen mit weiteren Wissensquellen in Verbindung gebracht werden können. Maschinell erfaßtes Wissen ist traditionell in vielfältiger Form anzutreffen: sowohl die interne Repräsentation (prozedurales, deklaratives, funktionales Wissen, Regelbasen, neuronale oder semantische Netze) als auch die benutzerseitige Darstellung (textuell, visuell, statisch bzw. zeitabhängig-dynamisch) kann mit zahllosen unterschiedlichen Verfahren erfolgen. Es existieren derzeit keine geeigneten Standards, um solche heterogenen Wissensquellen zu integrieren und zu präsentieren. Es soll deshalb ein (Meta-)Standard zur Beschreibung von Schnittstellen zwischen Wissensressourcen entwickelt werden, der auf folgenden Grundannahmen aufbaut:

1. Die funktionale Integration von Wissen unterschiedlicher Art ist ein entscheidendes Kriterium für den qualitativen Mehrwert.

2. Eine vollständige Homogenisierung der Repräsentationsformen unterschiedlicher Wissensressourcen ist nicht möglich. Ihre Integration in multimediale Präsentationen kann aber über eine standardisierte Schnittstellendefinition erreicht werden.

3. Der Schlüssel zur Integration von Wissensressourcen liegt in der Möglichkeit, bereits vorhandene Ressourcen mit vertretbarem Aufwand zusammenzuführen und zu integrieren.

Für die einfache Textkodierung und die "statische Multimediaintegration" liegen auf der Basis von SGML eine Reihe von Standards vor, die als Ausgangspunkt des hier beschriebenen Projekts angesehen werden können, aber keine unmittelbare Integration und Verzahnung von Wissensressourcen zulassen. Die Knowledge Ressource Description Language soll für unterschiedliche Formen von Wissenressourcen festlegen, in welcher Form Informationen zur Verfügung gestellt werden können, wie der Informationsaustausch zwischen Wissensressourcen erfolgen kann, in welchen Verwendungszusammenhängen die erschlossenen Wissensressourcen weiterverarbeitet werden können und wie bzw. von welchen anderen Wissensressourcen Information präsentiert werden kann. Mit der Entwicklung der KRDL kann ein Standard entstehen, der es unterschiedlichen Anbietern von Wissensressourcen erlaubt, mit realistischem Aufwand ihre Materialien in multimediale Präsentation einzubringen.

Die Bemühungen um eine "Interlingua" für die Wissensrepräsentation wie das Knowledge Interchange Format (KIF, vgl. [Gen95, Dav94, KS95]) haben einen vergleichbaren Ansatzpunkt. Im Unterschied hierzu soll in KRDL aber nicht der Versuch gemacht werden, die Überführung der Repräsentationen zu automatisieren. Ziel ist vielmehr, eine Metasprache zur Erschließung einer gegebenen Wissensressource zu entwickeln, deren interne Repräsentation aber nicht modifiziert werden soll. Dabei bleibt die genaue Beschreibung einer Ressource Aufgabe des Autors, ggf. unterstützt durch ein Integrationswerkzeug. In der Multimedialiteratur wird die Anreicherung durch Wissensressourcen zwar problematisiert, bisher existieren aber nur vereinzelte Insellösungen (vgl. [Glo97]) .

Wissenschaftliche Visualisierung ist eine eigenständige Forschungsdisziplin, die sich vor 10 Jahren als 'spinoff' aus der Computergrafik entwickelt hat, nachdem deren Vision in dem Positionspapier [MDB87] verbreitet wurde. Viele technische und auch kulturelle Hindernisse waren zu überwinden, um der Visualisierung in Forschung und Lehre zum heutigen Erfolg zu verhelfen. Inzwischen haben wohl fast alle Medien computergenerierte Bilder von Planetenmissionen, wissenschaftlichen Simulationsrechnungen und Rekonstruktionen z.B. antiker Gebäude veröffentlicht.

Ein gegenwärtiger Hauptbestandteil der wissenschaftlichen Forschung im Bereich Visualisierung liegt in Problemen des Volumenrendering. Hierbei geht es um die Verarbeitung und Darstellung von skalaren oder sogar vektorwertigen Größen, die von drei oder mehr Raumdimensionen abhängen. In medizinischen Anwendungen sind häufig computertomographische volumetrische Daten der Ausgangspunkt und in der Meteorologie sind es entsprechend die Ergebnisse von aufwendigen Simulationsrechnungen für die Entwicklung der Erdatmosphäre. Aufgrund der großen Menge der für eine Visualisierung zugrundeliegenden Daten ist die Effizienz der anzuwendenden Algorithmen für deren Analyse und Visualisierung ein wichtiger Gesichtspunkt. In dem Graduiertenkolleg sollen daher Algorithmen entwickelt werden, die diesem Gesichtspunkt Priorität einräumen. Dabei sollen sowohl verschiedene Renderingverfahren (Raycasting, Isoflächen, ...) als auch Bildverarbeitungsalgorithmen (z.B. Segmentierung von Volumendaten) untersucht und weiterentwickelt werden.

Bisherige Visualisierungsalgorithmen von Isoflächen aus Volumendaten sind in der Regel nicht optimiert hinsichtlich schneller Extraktion der Zellen, die die Isofläche schneiden. Hier wurden in letzter Zeit große Fortschritte gemacht durch den Einsatz des sogenannten span-space und von Intervallbäumen. Eine ausgiebige Untersuchung des Trade-Offs zwischen der kritischen Größe Speicherplatz (für die Zusatzinformation der Hilfsdatenstrukturen) und des damit zu erzielenden Zeitgewinns steht noch aus.

Ein weiteres Thema ist die Entwicklung von Verfahren zur progressiven Übertragung von medizinischen Bildinformationen von einem zentralen Informationsdepot zu Krankenhausstationen und Fachärzten. Die Größe der Originalbilddaten, die Beschränktheit der vorhandenen digitalen Übertragungskanäle und die Kosten der zur Anlieferung benötigten Zeit erzwingt, daß die Bilddaten nur in Teilen versendet werden können. Während der Betrachtung auf dem Monitor kann weitere Information nachgeliefert und so das Bild verbessert werden (progressive refinement). Wesentlich ist hier die Fähigkeit zum Browsing, wobei Annotationen (z.B. aus der Diagnose und weitere Patientendaten) mit eingeschlossen sind. Es sind Verfahren zu entwickeln, welche die räumliche und verbale Information in verschiedenen Auflösungen organisieren (embedded encoding) und übertragen können. Kompressionsverfahren müssen an regions-of-interest angepaßt werden. Als mathematische Repräsentationsgrundlage sollen hier Wavelets eingesetzt werden, die eine variable Auflösung und adaptive Rauschunterdrückung ermöglichen.

Im Unterschied zur wissenschaftlichen Visualisierung ist die Informationsvisualisierung ein Transformationsprozess, in dem primär nicht-räumliche Daten und Wissen in eine visuelle Form gebracht werden, die es dem Anwender erlaubt, die Information zu untersuchen und zu verstehen. Um abstraktes Wissen visuell zu repräsentieren, werden in der Informationsvisualisierung verschiedene Techniken angewendet: interaktive und nicht-interaktive Computergrafik, Imaging, Perzeption und Design. Die Hauptaufgabe in diesem Teilgebiet ist das Erfinden der jeweils geeigneten visuellen Metaphern sowie der interaktiven Techniken, um Struktur und Wissen in reichhaltigen und großen Systemen zu repräsentieren und neu zu entdecken.

Einige der untersuchten Aufgaben sind: Visualisierung von Diagrammen (z.B. komplexe Graphen), von Informationsräumen (z.B. große Textdokumente), von Algorithmen, von Hierarchien und Datenbanken, sowie natürlich die Visualisierung des Internets und seiner Inhalte. Ein interessantes und aktuelles Problem liegt in der Entwicklung von Ansichten selektierter Information. Eine alltägliche Anwendung besteht in der Vergrößerung eines Ausschnittes einer Karte (z.B. Landkarte, Flußdiagramm, oder auch eines Textes, usw.). Hier werden nichtlineare Transformationen eingesetzt, die es erlauben, sowohl den Ausschnitt als auch den ganzen Rest ohne störende Überdeckungen darzustellen. Diese Techniken lassen sich auch auf dreidimensionale Szenarien anwenden. Insgesamt sollen visuelle Repräsentationstechniken entwickelt werden, die sich aus konkreten Anwendungsfragestellungen im Graduiertenkolleg ergeben.

Mögliche Dissertationsthemen

KRDL als Meta-Standard für die Wissensressourcen in multimedialen Publikationen

Implementierung einer generischen Schnittstelle für die Integration und Nutzung von Wissensressourcen.

Parallele und effiziente out-of-core Oberflächenextraktion aus Volumendaten

Progressive Refinement Techniken für radiologische Bilder und Bildsequenzen

Adaptive und interaktive Techniken zur Ansicht und Selektion von Information

 

Literatur

Davis, B. et al. (1994). "The human interface to large multimedia databases." In: Proceedings of the SPIE, Vol. 2188, 2-9.

Genesareth, Michael (1995ff). "Knowledge Interchange Format Homepage". http://logic.stanford.edu/kif.

Gloor, Peter (1997). Elements of Hypermedia Design. Boston et al.: Birkhäuser.

Kunhuang Huarng; Simmons, D.B. (1995). "Knowledge reuse through the application of the object knowledge canonical form." In: Proc. 19th Annual International Computer Software and Applications Conference (COMPSAC'95). Los Alamitos/CA: IEEE Comput. Soc. Press, 40-45.

McCormick, B., DeFanti, T., Brown, M., Visualization in Scientific Computing, Computer Graphics 21,6 (Nov. 1987)

Schulmeister, Rolf (1996). Grundlagen hypermedialer Lernsysteme. Bonn et al.: Addison-Wesley.


zurück