Universitäts Journal
Nr. 3/2003 (Mai), S.25/26
Die globalisierte Bewertung von Leistung
Über Module, Credit Points und Strategien
Von Prof. Dr. Siegmar Gerber und Dipl.-Ing. Hans-Peter Schötz,
Institut für Informatik
Modularisierung und Punktsystem
Seit 1998 wurden eine Reihe von nationalen
und internationalen Beschlüssen zur
Hochschulausbildung gefasst und hierzu
Studienreformen empfohlen. Als richtungweisender
Beschluss ist die Bologna-Erklärung
"Der europäische Bildungsraum"
vom 19. Juni 1999 zu nennen. Hierin verpflichteten
sich die 29 Unterzeichnerstaaten
(darunter alle EU-Staaten), vertreten
durch die Bildungsminister, zur
- Einführung vergleichbarer Abschlüsse
und des Diploma Supplement, als Zusatz
zu Zeugnissen oder Urkunden über akademische
Abschlüsse
- Einführung eines Systems, das sich im
wesentlichen auf zwei Hauptzyklen (undergraduate,
graduate) stützt. Die Regelvoraussetzung
für die Zulassung zum
zweiten Zyklus ist der erfolgreiche Abschluss
des ersten Studienzyklus, der
mindestens drei Jahre dauert und eine
für den europäischen Arbeitsmarkt relevante
Qualifikationsebene attestiert. Der
zweite Zyklus sollte mit dem Master
und/oder der Promotion abschließen.
- Einführung eines Leistungspunktsystems
(Credit Point System).
Diese Ziele sollen bis Ende 2010 verwirklicht
werden. Ein Meilenstein auf diesem
Weg wird "Berlin 2003" (18./19. September),
die Nachfolgekonferenz zu "Bologna
1999" sein.
Seit der Erklärung von Bologna wird verstärkt
über die Einrichtung von Studiengängen
und Studienrichtungen mit gestuften
Studienabschlüssen (Bachelor und
Master) und die Reformierung auf der
Grundlage von Modularisierung und Leistungspunktsystem
diskutiert. Durch das
Leistungspunktsystem, das sich am European
Credit Transfer System (ECTS) orientiert,
soll sowohl der Transfer als auch die
Akkumulation von Leistungspunkten möglich
sein.
Hierzu fasste die Kultusministerkonferenz
am 15. September 2000 den Beschluss
über "Rahmenvorgaben für die Einführung
von Leistungspunktsystemen und die Modularisierung
von Studiengängen". Durch
diese Reformen sollen Kompatibilität und
Transparenz der Hochschulausbildung verbessert
und die Mobilität der Studierenden
erleichtert werden.
Die gesetzliche Basis für die Einführung
eines Leistungspunktsystems, studienbegleitender
Prüfungen und Bachelor- und
Masterstudiengänge bildet das Hochschulrahmengesetz
in seiner Novellierung vom
16 Februar 2002.
Die Bund-Länder-Kommission (BLK) für
Bildungsplanung und Forschungsförderung
begleitet und unterstützt die wesentlichen
Maßnahmen einer umfassenden
Studienstrukturreform, wie sie Bund, Länder
und Hochschulrektoren fordern. Seit
1999 werden im Programm "Innovationen
im Bildungswesen" Modellvorhaben zur
Modularisierung von Studiengängen und
zur Einführung der Leistungspunktevergabe
als Verbundprojekte initiiert.
Verbund für Strategien
Das Institut für Informatik an der Fakultät
für Mathematik und Informatik der Universität
Leipzig bildet gemeinsam mit den
Partnern Hochschule Bremen, Fachhochschule
Giessen-Friedberg und Universität
Ulm einen Verbund, in dem Globalisierungs-
und Konvertierungsstrategien für
die Leistungspunktevergabe in Hochschulnetzwerken
untersucht werden. Das Institut
für Informatik ist federführend in
diesem Projektverbund. Die Arbeitsergebnisse
werden im Internet präsentiert. Die
Adresse lautet:
http://www.informatik.uni-leipzig.de/theo/lpv
Erste Erfahrungen im Verbund
In der Verbundarbeit wurden erste Erfahrungen
zu leistungspunktbewerteten Modulen,
zur Einrichtung von leistungspunktbewerteten
Studiengängen und Studienrichtungen
(auch hochschulübergreifend)
sowie zur Anerkennung und Konvertierung
von Studienleistungen bei Hochschulwechseln
mittels eines Leistungspunkteindikators
gewonnen:
Die Modularisierung und die Leistungspunktevergabe
sollen zur Verbesserung der
Qualitätssicherung und der Transparenz
von Studium und Lehre, zur Verringerung
der Abbrecherquote, zur Verkürzung der
Studiendauer, zur Erhöhung der nationalen
und internationalen Mobilität sowie zur
Vereinfachung des Transfers von Studienleistungen
beitragen.
Außerdem werden das lebenslange Lernen
und moderne Lehr- und Lernformen wie
Web-Learning und Virtual University
unterstützt.
Die Vergabe von Leistungspunkten hat das
Ziel, die Arbeitsbelastung beziehungsweise
den Lernaufwand des Studierenden
(Student Workload) wiederzugeben. Durch
die Leistungspunkte wird die durchschnittliche
Arbeitsbelastung für den erfolgreichen
Abschluss eines Studienziels, Studienabschnitts
beziehungsweise eines Moduls
gemessen.
Die Arbeitsbelastung wird als Lernaufwand
für die Kategorien Vorlesung, Selbststudium,
(geführte) Übung, Seminar, Praktikum,
Labor, Studienarbeit, Beleg, Projekt,
Praxissemester, u.a. festgestellt. Der
Lernaufwand entspricht dem durchschnittlichen
Arbeitsumfang zur Erreichung des
Lernziels eines Moduls, Studienabschnitts
oder Studiengangs, bzw. der mit diesem zu
vermittelnden Kompetenz.
Die Arbeitsbelastung der Studierenden
wird auf der Grundlage der ECTS-Konvention
von 30 Leistungspunkten pro Semester
und der Richtlinie der Kultusministerkonferenz
(KMK) von 900 Arbeitsstunden
pro Semester bewertet. Bei der Berechnung
der Leistungspunkte wird von
der durchschnittlichen, ganzheitlichen Arbeitsbelastung
des Studierenden zum Erreichen
von Studienzielen ausgegangen
und nicht von der Semesterwochenstunde
(SWS) als der Lehrorganisationseinheit.
Im Hochschulbereich existieren teilweise
erhebliche Unterschiede in der Anzahl der
Semesterwochen und damit auch in der
Dauer der vorlesungsfreien Zeit. Hieraus
ergibt sich die Notwendigkeit für den Leistungspunkteaufwand
von der tatsächlichen
Wochenarbeitsbelastung des Studierenden
auszugehen.
Leistungspunktbewertete Module sind die
Bausteine des leistungspunktbewerteten
Studiums und werden in den Curricula reflektiert.
Das heißt, durch eine empfohlene
bzw. inhaltlich gegebene Modul-Reihenfolge
wird das Studien- oder Ausbildungsziel
erreicht und die Arbeitsbelastung insgesamt
als Summe der Modulleistungspunkte
bewertet.
Die Module sind im Sinne der KMK-Rahmenvorgaben
keine verordneten Einheitsmodule
sondern besitzen eine Eigendynamik,
die durch Parameter wie Lehr- und
Lernformen, Selbststudium, Projektarbeit
geprägt ist. Hierzu wird es notwendig, dem
Modul eine Modulgewichtung zuzuordnen.
Mit dem Leistungspunkteaufwand und
dem Modulgewicht wird der Modulleistungspunktefaktor
gebildet, mit dem die
Modulleistungspunkte ermittelt werden.
Die Parameter können für verschiedene
Anwendungen, Studiengänge und Hochschulen
unterschiedlich skaliert sein.
Das leistungspunktbewertete Studium führt
zu einem berufsqualifizierenden Abschluss
mit wohl definierten Ausbildungszielen
und eine der Gesamtarbeitsbelastung
entsprechenden Anzahl von erworbenen
Leistungspunkten. Die Studiengänge
sind aus Studienabschnitten aufgebaut, die
nicht nur modularisierte Lehrangebote
sondern auch Module wie z.B. Konsultationen,
Studienarbeiten, Praxissemester,
Projekte und Abschlussarbeiten enthalten
können.
Das Bildungsangebot wird zunehmend
durch konsekutive Studiengänge, Aufbaustudiengänge,
Fernstudiengänge, Kurse
privater Bildungsträger erweitert. Diese
Angebote sind in das System der Leistungspunktebewertung
und Anerkennung
von Lernleistungen einzubeziehen.
Schwerpunkt dieses Modellversuchs ist es,
die Auswirkungen dieser Globalisierung in
der Ausbildung, bei Anerkennung von
Lernleistungen auch bei Zugang in ein
Hochschulstudium zu untersuchen und zu
verifizieren.
Die Anerkennung von nachgewiesenen
Lernleistungen in Studiengängen, Studienrichtungen,
in Kurssystemen an unterschiedlichen
Hochschulen oder anderen
Ausbildungseinrichtungen im In- und Ausland
setzt die Vergleichbarkeit der Modulinhalte
und der erworbenen Leistungspunkte
(Credit Points) voraus. Hierzu wird
als Arbeitsablauf (Workflow) der Leistungspunkteindikator
Informatik LPP vorgeschlagen,
der auch für die Leistungspunktbewertung
von spezifizierten Modulen
verwendet werden kann.
Die Basis für diesen Leistungspunkteindikator
bilden Modulkataloge, Studien-/Prüfungsordnungen
und Curricula.
Die Kopplung des Leistungspunkteindikators
an die Akademische Studien- und oder
Prüfungsverwaltung der Hochschule soll
insbesondere die Verwaltung der Leistungspunkte,
das Generieren von Curricula
für Studienrichtungen, von Kursen für die
Weiterbildung und Teilzeitstudiengängen
unterstützen.
An den Verbundhochschulen wurden aufbauend
auf den Erfahrungen des Modellvorhabens
"Modularisierung von Informatik-
Studiengängen" weitere modularisierte
Studiengänge eingerichtet und die Leistungspunktediskussion,
insbesondere auf
Informatik-Studiengänge bezogen, intensiviert.
Die Verbundergebnisse zur Leistungspunktevergabe
in modularisierten Studiengängen
sollen anhand gezielter Befragungen
von Studierenden und Dozenten
evaluiert und in Zusammenarbeit mit der
wissenschaftlichen Begleitgruppe und anderen
Verbünden diskutiert werden.
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