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Leipziger Volkszeitung
11.05.2000
Chip-Boom überholte Ausbildung
Ursachen für Fachkräftemangel wurzeln in der Vergangenheit / 910
Informatik-Studenten an hiesigen Hochschulen
Von ANJA MATSCH und FABIAN SCHÄFER
In der deutschen Wirtschaft herrscht ein Mangel von 60 000 Fachleuten in
der Computerbranche. Um diesem Zustand entgegen zu wirken, werden bis zu
20 000 ausländische Experten vorübergehend nach Deutschland geholt. "Auf
einen Informatiker kommen acht freie Stellen", illustriert Axel Schneider,
Prodekan des Fachbereiches Informatik der Leipziger Hochschule für Technik,
Wirtschaft und Kultur (HTWK) die Situation. Es sei ein riesiges Potenzial
von Arbeitskräften nötig, die, abgesehen von der Green-Card-Initiative,
entweder von Universitäten, Fachhochschulen oder aus betrieblichen
Ausbildungen kommen müssen, ergänzt Dietmar Saupe, Prodekan der Fakultät
für Mathematik und Informatik an der Universität. Die Defizite auf dem
Stellenmarkt könnten in den nächsten Jahren teilweise durch die
Informatikstudenten von heute abgebaut werden.
An den Leipziger Hochschulen sind derzeit 910 Informatikstudenten
immatrikuliert. Aufgrund der hohen Bewerberzahlen musste in beiden
Einrichtungen ein Numerus Clausus für den Studiengang eingeführt werden.
Ausbildung ist mit anderen Ländern vergleichbar
Auch an den Lehrinhalten der deutschen Hochschulen liegt es offenbar nicht,
dass es zu wenig qualifizierte Arbeitskräfte gibt. "Unsere Ausbildung kann
man durchaus mit der von anderen hoch entwickelten Ländern vergleichen," so
Günter Malgut, Informatik-Dekan an der HTWK.
"Es fehlt einfach an dem Bewusstsein, wie wichtig eine gute mathematische
Ausbildung schon in der Schule ist. Auch in den Medien wird die Bedeutung
der naturwissenschaftlichen Studiengänge und der Ingenieurwissenschaften
nicht genug hervorgehoben." Das Problem liege in der Vergangenheit. Was die
Schaffung von Ausbildungsplätzen in dieser Richtung betrifft, sei viel
versäumt worden. "Das ist ein extrem wachsender Markt", weiß Studiendekan
Gerhard Heyer von der Uni. Saupe: "Es steht fest, dass sich die Leistung
von Prozessoren alle achtzehn Monate verdoppelt." Das führe zu neuen
Computeranwendungen und einem stetig steigenden Bedarf an Informatikern.
Die Entscheidungswege in den Unis, die letzten Endes auch Behörden seien,
können damit nicht Schritt halten. Die Hochschulen versuchen aber, sich auf
bestimmte Inhalte im Bereich der Lehre zu spezialisieren.
Das Uni-Institut für Informatik hat sich auf einen größeren Anwendungs-
und Praxisbezug konzentriert. Dazu gehören die beiden Studienrichtungen
Medizinische und Linguistische Informatik, der Schwerpunkt Informatik im
Versicherungswesen und das Fach Wirtschaftsinformatik. Zudem ist es an der
Alma Mater möglich, innerhalb des Diplom- oder Magisterstudiums das Fach
Informatik mit einer Vielzahl anderer Fächer zu kombinieren.
Motivation wird durch ein Praktikum gestärkt
Praxisbezogenheit und zeitiger Kontakt zur realen Wirtschaftswelt stehen an
der HTWK im Vordergrund. "Die Studenten sollen nicht nur Fähigkeiten,
sondern in erster Linie Fertigkeiten erlernen", betont Malgut. So müssen
Studierende im fünften Semester ein mindestens zwanzigwöchiges Praktikum in
einem Betrieb absolvieren, um einen Einblick in den oft schwierigen
Arbeitsalltag zu bekommen und um ihre Teamfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Michael Hudecek , Informatikstudent im achten Semester, empfindet gerade
die Anbindung an die Wirtschaft als äußerst positiv. "Ich fühle mich gut
aufs Berufsleben vorbereitet", resümiert er. Malgut hebt hervor, dass die
Motivation der Studenten nach Beendigung des Praktikums und ihrer Rückkehr
an die Hochschule sehr groß sei. "Sie erkennen, dass ihr Wissen anwendbar
ist." Etwa ein Drittel der Studenten blieben nach dem Praxisjahr in Kontakt
zu den Firmen, bekämen von dort ein Diplomthema und würden übernommen.
Die Grenze zwischen Praxis und Anwendung lässt sich jedoch bei der
Informatik nicht eindeutig festlegen. "Neben einer anwendungsbezogenen
Lehre soll an der Uni jedoch auch wissenschaftlich und analytisch
gearbeitet werden", erläutert Heyer. Es sei wichtig, dass sowohl die Uni
als auch die HTWK mit ihrer jeweiligen Ausrichtung im Bereich der
Informatik gestärkt würden, meint Saupe. Nur so werde die Stadt Leipzig
ihrem Status als Finanz- und Dienstleistungsstandort gerecht.
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