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Leipziger Volkszeitung
25.03.2000
Trotz Widerstand der Zukunft zugewandt
Enormer Ansturm auf Informatik-Fächer, doch unzeitgemäße Zustände an
Universitäten bremsen Lerneifer
Leipzig. Während die Computerindustrie um Arbeitskräfte bettelt,
beschränken die Unis die Studentenzahl für Informatiker mit Numerus
Clausus. "Der Anstieg der Bewerber kann zum Kollaps der Ausbildung
führen", erklärt Christian Schmidt-Gütter, Student im siebten Fachsemester
am Leipziger Uni-Institut für Informatik. Kommilitone Gunnar Schau
verteidigt den Widersinn sogar: "Am Institut wird man sich nicht gegen eine
Begrenzung von Erstsemestern wehren." Die Verhältnisse seien mittlerweise
auf ein Niveau gesunken, von dem sich mancher in seinem Lerneifer gebremst
fühle.
Die Computerbranche entwickelt sich in einem Höllentempo. Dies überträgt
sich auf viele Studenten. Die sind vom Pioniergeist beseelt. Doch die Unis
bremsen mit unzeitgemäßen Verhältnissen, statt den Tatendrang zu fördern.
"Oft zählt nicht Leistung, sondern Glück", beklagt Schmidt-Gütter die
Zustände beim Kampf um die "Scheine". Schuld sei der Lehrkräftemangel. Die
Dozenten und Doktoranden unterrichteten zwar mehr, als sie müssten. Doch
der Ansturm wäre kaum zu bewältigen. Viele Studiosi besetzen Informatik
auch im Nebenfach. "Kenntnisse werden in allen Branchen vorausgesetzt.
Außerdem denken manche, eine Belegung des Faches mache sich gut im
Lebenslauf", erklärt Gunnar Schau. Vorlesungen und Seminare würden aus
allen Nähten platzen. Das Niveau ließe nach. "Im Grundstudium haben die
Spezialisten Pech. Die Wissensvermittlung richtet sich nach dem, was die
Masse begreift", hat Schau festgestellt.
Die Überfüllung mindert an vielen Informatikfakultäten die Qualität
des
Studiums. Nur die Technische Universität Dresden meldete noch freie Plätze
(wir berichteten). Die Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und
Kultur (HTWK) beschränkt den Zustrom längst mit Numerus Clausus. Dies plant
auch die Technische Universität Ilmenau. Dort saß Thorsten Strufe vor
Jahren mit sieben Gleichgesinnten im Seminar. "Heute sind wir sechzig. Das
ist keine Art, Studenten auszubilden", meint er. Seinen Enthusiasmus bremst
es wenig. Die 20 000 Spezialisten, die mit Green Card eingebürgert werden
sollen, "sind auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein". Derentwegen
brauche niemand Angst um seinen künftigen Arbeitsplatz zu haben. Kyrill
Meyer, der an der Uni Leipzig im vierten Semester Informatik studiert, weiß
zu berichten, dass auf jeden Absolventen "drei bis vier Stellenangebote
kommen".
Um mehr Lehrkräfte einzustellen, müssten den Informatiker-Schmieden die
Etats aufgestockt werden. Im Leipziger Informatik-Institut ist man schon
zufrieden, dass das Geld nicht wie bei den meisten Fakultäten gekürzt
wurde. Die Einrichtung überbrückt die Personalnot mit Aushilfskräften.
Da
steigt ein Systemtechniker schon mal zum Dozenten auf. Mehr als eine
Notlösung wird daraus meistens nicht. "Wir brauchen mehr und bessere
Lehrkräfte", fordert Christian Schmidt-Gütter. Viele der Professoren auf
Lebenszeit "schmoren im eigenen Saft". Dies sei in der Informatik tödlich,
meint der einstige Sprecher der Fachschaft und ergänzt resigniert, "leider
lassen die hochschulpolitischen Rahmenbedingungen nichts anderes zu".
Im Gegensatz zur Zahl der Lehrkräfte sei der Zustand der Technik
akzeptabel. Auch weil viele Studenten ihren privaten Rechner haben. Wer die
Computerpools der HTWK oder der Universität Leipzig aufsucht, muss oft eine
Wartezeit einplanen. "Uns fehlen Rechnerplätze. Immer wenn die Neuen
kommen, sind wir überlastet", bemängelt Uwe Nowak vom
Informatik-Fachschaftsrat der HTWK. Statt einhundert Computer könnte der
Fachbereich zwanzig mehr vertragen. Gleiches ist aus der Uni zu hören.
Ohne radikale politische Entscheidungen wird sich an den Zuständen in den
nächsten Jahren nichts ändern. Um die Unzulänglichkeiten zu ertragen,
"braucht man sehr viel Energie", sagt Christian Schmidt-Gütter. Nur die
ganz Harten lassen sich durch nichts beeinträchtigen. Den fehlenden
Praxisbezug machen sie mit Nebenjobs wett. Und bald nach Erhalt des Diploms
gründen sie ihre eigene Firma.
Andreas Friedrich
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