IfI - In den Medien

Leipziger Volkszeitung

20.03.2000

Unis hinken bei Zukunftsfächern hinterher

Platznot und Professoren-Mangel: Viele Informatik-Bewerber müssen abgelehnt werden

Leipzig. "Man sollte jetzt nicht den Unis den Vorwurf machen, da prügelt man die Falschen", wehrt Heinrich Kern entschieden ab. Auch in Ilmenau an der Technischen Universität, wo der Professor als Prorektor fungiert, mahnte man eine stärkere Ausrichtung auf Informationstechnologien an. Nun, da die Industrie nach "IT-Spezialisten", "Computer-Experten" und "Software-Entwicklern" schreit, sollen zunächst ausländische Fachkräfte aushelfen.
   Dabei stehen die Studienbewerber in Leipzig, Dresden, Halle und Ilmenau Schlange, um Informatik zu studieren. Doch viele Unis und Hochschulen müssen Bewerber aus Platznot und Professoren-Mangel derzeit wieder wegschicken. Nur die TU Dresden kann die Studentenzahl erhöhen. Am Institut für Informatik der Uni Leipzig und in Ilmenau denkt man indes darüber nach, die Neueinschreibungen im Herbstsemester mit Numerus clausus zu beschränken. "Das wäre ein Widersinn, aber nicht zu ändern", meint Dietmar Saupe, Institutsdirektor in Leipzig. Er fordert, innerhalb der Uni die Akzente zu verschieben, gibt sich aber keinen Illusionen hin: "Eine träge Behörde wie die Uni hinkt hinterher." Gleiches beklagt auch Wolfgang Lassmann, Dekan der Fakultät Wirtschaftsinformatik der Martin-Luther-Uni in Halle. "Wir brauchen flexiblere Strukturen, können uns nicht anpassen. Hinderlich ist auch, dass Professoren auf Lebenszeit berufen werden." Lassmann hätte gern drei Profs mehr. In Ilmenau an der TU werden gar 30 Wissenschaftler gebraucht. "Die kosten aber drei Millionen Mark im Jahr", hat Prorektor Kern überschlagen und weiß, diese Summe zahlt ihm keiner. "Die Politik hat in den letzten Jahren nicht sonderlich viel getan. Und die Visionen der Industrie platzen oft, wenn es ums Geld geht", bedauert er. Eine Beschränkung mit Numerus clausus für ein Zukunftsfach einzuführen, wäre der "absolute Wahnsinn". Also versucht man in Ilmenau, "Ressourcen innerhalb der Uni umzuschichten."
   Die Zahl der Lehrkräfte lässt sich dadurch aber nicht erhöhen. Auch die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) in Leipzig sucht händeringend einen Professor für Multimedia. "Die Experten gehen in die Industrie", klagt Informatik-Prodekan Siegfried Schönherr. Hans-Ulrich Karl, Studiendekan der Dresdner Informatik-Fakultät beklagt zudem den Verlust des akademischen Nachwuchses: "Uns gehen die Assistenten aus. Denen bietet die Industrie astronomische Gehälter nebst Firmenwagen. Da kann der öffentliche Dienst nicht mithalten." Deshalb schlägt der Hallenser Dekan Lassmann vor: "Wir brauchen nicht nur 15 000 indische Software-Spezialisten, sondern auch 100 indische Professoren, um unsere Ausbildung auf Vordermann zu bringen."
   Alle Akademiker sind sich einig, dass die Green Card für einen begrenzten Zuzug von hochqualifizierten Gastarbeitern den akuten Engpass überbrückt, das Problem aber nicht umfassend löst. Ilmenaus Prorektor Kern fordert deshalb: "Bund und Länder müssen sich zu einem Sonderprogramm aufraffen. Und die Industrie muss die Lehre mehr unterstützen."

Andreas Friedrich


HTML-Umsetzung: Andreas Zerbst 12.05.00