COMPUTERWOCHE YOUNG PROFESSIONAL
Nr.31 / 2000, YP S.18
AN DER UNI LEIPZIG: VERSICHERUNGSINFORMATIK
Einblick in die Branche
Die Universität Leipzig ebnet Informatikstudenten den Einstieg in die
Versicherungswirtschaft. In Zusammenarbeit mit der Assekuranzbranche ist
so ein praxisorientierter Studiengang entstanden.
SEINEN KÜNFTIGEN Arbeitsplatz hat Alexander Slomka sicher, sein Examen
dagegen noch nicht. Der 28-Jährige steht kurz vor dem Abschluss seiner
Diplomarbeit im Fachbereich Informatik an der Universität Leipzig. Darin
beschäftigt sich der künftige Experte mit dem Einsatz von Electronic
Commerce in der Versicherungswirtschaft.
Seine Abschlussarbeit ist eingebettet in ein interdiszplinär angelegtes
Forschungsprojekt, das die Leipziger Universität gemeinsam mit großen
deutschen Versicherungskonzernen umsetzt.
Nebenbei arbeitet Slomka bei der R + V Versicherung. Der Konzern mit
Hauptsitz in Wiesbaden hatte bereits kurz nach der Wende seine Fühler
nach Ostdeutschland ausgestreckt. Einer der Hauptgründe: Die Branche
suchte einen Ausweg aus der anhaltenden Nachwuchskrise. Der hohe Bedarf
an Informatikern mit Branchen-Know-how konnte nicht gedeckt werden. "Die
unzureichende Praxisorientierung des Informatikstudiums an den
Universitäten verursachte und verursacht auch heute noch hohe Kosten bei
der Integration in die Berufswelt", erläutert Michael Mühl,
Personalmanager bei der R + V, das Dilemma. Bei der Suche nach einem
Partner, der eine möglichst "effiziente Kooperation zwischen
Berufspraxis, universitärer Ausbildung und Forschung garantiert",
entschieden sich die R + V-Manager und ihre Branchenpartner schließlich
für die sächsische Hochschule. "Schon zu DDR-Zeiten", so Mühl, "pflegte
man in der Messestadt einen fruchtbaren Austausch zwischen der
Hochschul- und der Arbeitswelt."
Aus den ersten Annäherungsversuchen hat sich inzwischen ein
eigenständiges, in Deutschland bisher einmaliges Studienangebot
entwickelt: Gemeinsam mit der Allianz Leben AG und IBM Deutschland
konzipierte R + V den Studienschwerpunkt "Informatik im Versicheru
ngswesen" - wählbar für Informatikstudenten im Hauptstudium. Die
inhaltliche Verzahnung mit der Versicherungsbranche spiegelt sich
obendrein im Nebenfach Betriebswirtschaftslehre wider, mit
Spezialisierungen in Versicherungsbetriebslehre und -mathematik.
Längst haben sich andere Versicherungsdienstleister wie die HUK-Coburg
und Iduna, die Bayerische Rück oder die Alte Leipziger dem Vorstoß der
Konkurrenz angeschlossen. Die Partner aus der Wirtschaft unterstützen
den Lehrbetrieb, durch Vorlesungen und Kolloquien, Exkursionen ,
Praktikumsplätze sowie die Betreuung von Diplomarbeiten und halten den
Wissenstranfer in Gang.
MÜHL
Vorstellungen der Wirtschaft wurden in den Lehrplan integriert.
Die Versicherer sind mit der Kooperation höchst zufrieden, weil ihre
Forderungen "schlicht und einfach", ohne die üblichen Streitigkeiten mit
Hochschulvertretern, "in die Konzeption des Studienschwerpunktes
integriert wurden", bringt Personaler Mühl die Einschätzung der
beteiligten Unternehmen auf den Punkt.
Die Studierenden, da ist sich Junginformatiker Slomka sicher,
profitieren ebenfalls vom Schulterschluss der Partner aus Wirtschaft und
Wissenschaft. "Die Versicherungsleute haben frischen Wind in die
Fakultät hineingebracht. Wir haben alle nach dem recht theoretischen
Grundstudium danach gelechzt, Praxisluft zu schnuppern". Dazu hatte der
Diplominformatiker in spe im Laufe der vergangenen sechs Semester
reichlich Gelegenheit. Durch Praktika und Exkursionen in IT-Abteilungen
der Versicherungskonzerne erfuhr Slomka, welche besonderen Ansprüche
diese Branche an die Informatik stellt. Das ist für seine spätere
Karriere ein gewichtiges Pfund, mit dem er wuchern kann.
Die Unternehmen benötigen nämlich maßgeschneiderte, branchengerechte
Softwarelösungen und IT-Konzepte. "Informatiker, die neben
Wirtschaftskenntnissen ein fundiertes Branchen-Know-how mitbringen,
haben derzeit die besten Aufstiegs- und Entwicklungschancen am
Arbeitsmarkt", hat Alexander Bojanowski beobachtet, Geschäftsführer des
in Bonn ansässigen Bundesverbandes Informationstechnologien e.V. (BVIT).
Virtuelle Übungsfirma
Sein unternehmerisches Talent konnte Slomka als Mitbetreiber des "Forum
Versicherungsinformatik" erproben. Geleitet wird die virtuelle
Übungsfirma von Gottfried Koch. Der Professor hat den Studienschwerpunkt
nach dem Vorbild der Hochschule Sankt Gallen aufgebaut, an der er zuvor
tätig war. Der "WWW-Treffpunkt" bietet neben allgemeinen Informationen
zum Studiengang kostenpflichtige Dienstleistungen an. Gegen eine
Jahresgebühr von 5000 Mark können Firmen ein Nutzungsrecht erwerben.
Geboten werden News und Links zu aktuellen Themen der
Versicherungsinformatik, der Zugang zu Diskussionsforen und
Auftragsrecherchen sowie die öffentliche Ausschreibung vakanter Stellen.
Als besonders attraktives Angebot bewertet Personalexperte Mühl die via
Internet regelmäßig offerierten Seminare zu Themen wie "NETinsurance"
oder "Virtuelle Versicherung unter besonderer Berücksichtigung des
E-Commerce", zu denen neben Studierenden auch Mitarbeiter der
Versicherungen Zugang haben.
Die Projektmitarbeiter sind nicht nur dafür zuständig, dass technisch
alles auf Hochtouren läuft, sondern müssen auch zusehen, dass die Kunden
bei der Stange bleiben und die Kasse stimmt. "Es ist sehr lehrreich,
wenn man zwischen all der Büffelei hin und wieder ins kalte Wasser
geworfen wird und sich an der Praxis messen muss", gibt sich Slomka
zufrieden mit seinem Studium.
Kontakt: Universität Leipzig,
Professor Dr. Gottfried Koch,
Tel.: 0341/97-32278,
E-Mail: fvi@rzaix530.rz.uni-leipzig.de
Internet: http://www.uni-leipzig.de/versicherungsinformatik
* Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn
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